Chroniken der Unterwelt Bd. 1 City of Bones
gesagt.«
»Ich habe tatsächlich den Fluch von ihm genommen«, antwortete Valentin ruhig, »aber ich habe es nur aus Mitleid getan. Er war so eine jämmerliche Figur.«
»Du hast kein Mitleid empfunden. Du hast rein gar nichts empfunden.«
»Das reicht, Clary!« Es war Jace. Sie starrte ihn an; seine Wangen waren so rot, als hätte er von dem Wein getrunken, der vor ihm stand, und seine Augen glänzten viel zu hell.
»Sprich nicht so mit meinem Vater.«
»Er ist nicht dein Vater!«
Jace sah aus, als hätte sie ihm ins Gesicht geschlagen. »Warum bist du so fest entschlossen, uns nicht zu glauben?« »Weil sie dich liebt«, sagte Valentin.
Clary spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Sie schaute ihn an, wusste nicht, was er als Nächstes sagen würde, fürchtete sich aber davor. Es kam ihr so vor, als würde sie auf einen Abgrund zugeschoben, als stünde sie kurz vor einem schrecklichen, rasenden Sturz in ein unendliches Nichts. Um sie herum begann sich alles zu drehen.
»Was?«, fragte Jace, völlig verblüfft.
Amüsiert musterte Valentin Clary – mit einem Blick, als hätte er einen Schmetterling auf ein Stück Karton aufgespießt.
»Sie hat Angst, dass ich dich ausnutze«, sagte er. »Dass ich dich einer Gehirnwäsche unterzogen habe. Doch das stimmt selbstverständlich nicht. Schau in deine eigenen Erinnerungen, Clary, dann weißt du es.«
»Clary.« Jace erhob sich langsam, ohne den Blick von ihr zu wenden. Sie sah die dunklen Ringe unter seinen Augen, spürte seine Anspannung. »Ich …«
»Setz dich«, kommandierte Valentin. »Sie wird von ganz allein daraufkommen, Jonathan.«
Jace gehorchte sofort und ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken. Clary, die immer noch gegen den Schwindel ankämpfte, versuchte zu verstehen. Jonathan? »Ich dachte, dein Name sei Jace«, sagte sie. »Hast du dabei auch gelogen?«
»Nein, Jace ist ein Spitzname.«
Inzwischen war sie dem Abgrund so nahe, dass sie fast hineinschauen konnte. »Wofür?«
Er sah sie an, als könne er nicht verstehen, warum sie aus einer solchen Kleinigkeit eine derart große Sache machte. »Er steht für meine Initialen«, erklärte er. »J. C.«
Der Abgrund tat sich vor ihr auf. Sie vermeinte zu spüren, wie sie ins Nichts stürzte. »Jonathan«, flüsterte sie kaum hörbar. »Jonathan Christopher.«
Jace runzelte die Stirn. »Woher weißt du …?«
Valentin unterbrach ihn; seine Stimme hatte einen beruhigenden Ton angenommen. »Jace, ich hatte gehofft, dir das ersparen zu können. Ich glaubte, die Geschichte von einer verstorbenen Mutter würde dir weniger wehtun als die einer Mutter, die dich noch vor deinem ersten Geburtstag verlassen hat.«
Jace’ schlanke Finger schlossen sich so krampfartig um den Stiel des Weinglases, dass Clary einen Moment lang fürchtete, er würde zerbrechen. »Meine Mutter lebt?«
»Ja«, sagte Valentin. »Sie lebt und liegt in diesem Augenblick schlafend in einem der Zimmer im Untergeschoss. Es stimmt«, fuhr er fort, noch ehe Jace etwas sagen konnte, »Jocelyn ist deine Mutter, Jonathan. Und Clary … Clary ist deine Schwester.«
Jace’ Hand zuckte zurück. Das Weinglas stürzte um und schäumende scharlachrote Flüssigkeit ergoss sich über das weiße Tischtuch.
»Jonathan«, sagte Valentin.
Jace’ Gesicht hatte eine schreckliche grünweiße Farbe angenommen. »Das ist nicht wahr«, stieß er hervor. »Das muss ein Fehler sein. Das kann einfach nicht stimmen.« Valentin blickte seinem Sohn fest in die Augen. »Eigentlich ein Grund zum Feiern«, sagte er leise, fast schon nachdenklich. »Zumindest hätte ich das angenommen. Gestern noch warst du ein Waisenkind, Jonathan. Und heute hast du einen Vater, eine Mutter und eine Schwester, von deren Existenz du noch nie etwas geahnt hast.«
»Das ist nicht wahr«, sagte Jace erneut. »Clary kann nicht meine Schwester sein. Wenn sie es wäre …«
»Was dann?«, fragte Valentin.
Jace gab keine Antwort, doch sein entsetzter und zugleich angewiderter Gesichtsausdruck genügte Clary. Auf unsicheren Beinen näherte sie sich dem Tisch, kniete sich neben seinen Stuhl und griff nach seiner Hand. »Jace …«
Er zuckte vor ihrer Berührung zurück; seine Finger krallten sich in das durchnässte Tischtuch. »Lass mich.«
Der Hass auf Valentin brannte in ihrer Kehle wie unvergossene Tränen. Er hatte Jace verschwiegen, was er wusste – dass sie seine Tochter war –, und sie durch sein Schweigen
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