Chroniken der Unterwelt Bd. 1 City of Bones
mächtige Karte. Was sagt sie dir?«
»Dass meine Mutter sie gemalt hat«, erwiderte Clary und legte die Karte auf den Tisch. »Das stimmt doch, oder?«
Madame Dorothea nickte zufrieden. »Sie hat das ganze Spiel gemalt. Ein Geschenk für mich.«
»Das behaupten Sie.« Mit kaltem Blick stand Jace auf. »Wie gut kannten Sie Clarys Mutter?«
Clary verdrehte ihren Hals, um zu ihm aufschauen zu können. »Jace, du musst nicht …«
Dorothea lehnte sich in ihrem Sessel zurück und ließ die Karten ausgebreitet auf ihrer Brust ruhen. »Jocelyn wusste, was ich bin, und ich wusste, was sie war. Wir haben nicht viel darüber gesprochen. Manchmal hat sie mir einen Gefallen getan – zum Beispiel dieses Kartenspiel für mich gemalt – und im Gegenzug habe ich sie mit dem neuesten Klatsch aus der Schattenwelt beliefert. Es gab da einen Namen, nach dem ich mich für sie umhören sollte, und das habe ich auch getan.«
Jace’ Gesicht blieb ausdruckslos. »Und welcher Name war das?«
»Valentin.«
Clary setzte sich ruckartig in ihrem Sessel auf. »Aber das …«
»Sie sagen, Sie wussten, was Jocelyn war – aber was meinen Sie damit? Was war sie?«, fragte Jace.
»Jocelyn war, was sie war«, antwortete Madame Dorothea. »Aber in ihrer Vergangenheit war sie so wie du. Eine Schattenjägerin. Ein Mitglied des Rats.«
»Nein«, flüsterte Clary.
Madame Dorothea betrachtete sie mit traurigen, fast schon gütigen Augen. »Aber es ist die Wahrheit. Sie entschloss sich ganz bewusst, in diesem Haus zu leben, weil …«
»Weil es eine Zufluchtsstätte ist«, sagte Jace zu Madame Dorothea. »Nicht wahr? Ihre Mutter, die Hexe, war eine Hüterin. Sie schuf diesen Raum, versteckt, geschützt – ein perfekter Platz für Schattenwesen auf der Flucht, die sich verbergen müssen. Und genau das tun Sie auch, richtig? Sie verstecken Verbrecher hier.«
»So würdest du sie nennen«, sagte Madame Dorothea. »Du kennst das Motto des Bündnisses?«
»Dura lex sed lex« , erwiderte Jace automatisch. »Das Gesetz ist hart, aber es ist das Gesetz.«
»Manchmal ist das Gesetz zu hart. Ich weiß, dass der Rat mich meiner Mutter weggenommen hätte, wenn es ihm möglich gewesen wäre. Deiner Meinung nach soll ich also zulassen, dass sie das auch anderen antun?«
»Oh, eine Philantropin.« Jace verzog verächtlich das Gesicht. »Und wahrscheinlich soll ich Ihnen jetzt auch noch glauben, dass Sie Schattenwesen hier Zuflucht gewähren, ohne sich dafür fürstlich bezahlen zu lassen?«
Madame Dorothea grinste so breit, dass ihre goldenen Backenzähne aufblitzten. »Nicht jeder kann so wie du auf sein blendendes Aussehen vertrauen.«
Jace schien die Schmeichelei kaltzulassen. »Ich sollte dem Rat erzählen, dass Sie …«
»Das darfst du nicht!« Clary war aufgesprungen. »Du hast es versprochen.«
»Ich habe nie irgendetwas versprochen«, erwiderte Jace aufsässig. Er erhob sich, schlenderte hinüber zur Wand und zog einen der Samtvorhänge beiseite. »Können Sie mir sagen, was das ist?«, fragte er gebieterisch.
»Das ist eine Tür, Jace«, sagte Clary. Es war tatsächlich eine Tür, seltsamerweise genau in der Wand zwischen den beiden Erkerfenstern. Ganz offensichtlich führte diese Tür nirgendwohin, sonst hätte sie von der Außenseite des Hauses aus zu sehen sein müssen. Anscheinend bestand sie aus einem matt schimmernden Metall, weicher als Messing, aber schwer wie Eisen. Der Türknauf hatte die Form eines Auges.
»Sei still«, sagte Jace wütend. »Das ist ein Portal. Oder etwa nicht?«
»Es ist eine fünfdimensionale Tür«, erwiderte Madame Dorothea und legte die Tarotkarten zurück auf den Tisch. »Wie du vielleicht weißt, verlaufen Dimensionen nicht immer in einer geraden Linie«, fügte sie hinzu, als sie Clarys verständnislosen Blick bemerkte. »Es gibt überall versteckte Senken und Falten und Winkel und Ecken. Wenn man sich nie mit Dimensionstheorie beschäftigt hat, ist das Ganze nur schwer zu verstehen, aber im Grunde läuft es darauf hinaus, dass diese Tür dich in dieser Dimension an jeden Ort bringen kann, wohin du willst. Es ist …«
»Ein Schlupfloch«, sagte Jace. »Darum wollte deine Mom auch unbedingt hier leben. Auf diese Weise hatte sie immer eine schnelle Fluchtmöglichkeit.«
»Warum ist sie dann nicht …«, setzte Clary an und unterbrach sich, plötzlich entsetzt. »Meinetwegen«, fuhr sie fort. »Sie wollte in jener Nacht nicht ohne mich fliehen. Also ist sie geblieben.«
Jace schüttelte den Kopf.
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