Chroniken der Unterwelt Bd. 2 City of Ashes
Allmählich begann Clary zu verstehen, was Jace mit kreativem Umgang mit der Wahrheit gemeint hatte. »Bitte, Mylady. Wir haben gehofft, Ihr würdet Verständnis zeigen. Es war uns bereits zu Ohren gekommen, dass Eure Güte Eurer Schönheit ebenbürtig sei … und in diesem Fall …«, fuhr Jace fort, »muss Eure Güte wirklich unendlich groß sein.«
Die Königin lächelte amüsiert und beugte sich vor; ihr schimmerndes Haar fiel nach vorne und warf einen Schatten auf ihr Gesicht. »Du bist genauso charmant wie dein Vater, Jonathan Morgenstern«, sagte sie und deutete auf die Kissen, die über den Boden verteilt lagen. »Kommt, setzt euch zu mir. Esst etwas. Trinkt. Ruht euch aus. Mit benetzten Lippen redet es sich viel leichter.«
Einen Moment lang wirkte Jace aus dem Konzept gebracht. Er zögerte. Meliorn beugte sich zu ihm vor und raunte leise: »Es wäre unklug, die Gastfreundschaft der Königin des Lichten Hofes zurückzuweisen.«
Isabelle schaute rasch zu ihm und zuckte dann die Achseln. »Es kann ja nicht schaden, wenn wir uns hinsetzen.«
Meliorn führte sie zu einem Berg von Seidenkissen, die in der Nähe des königlichen Diwans lagen. Vorsichtig ließ Clary sich auf einem Kissen nieder; fast erwartete sie, dass sich eine spitze, harte Wurzel durch das Gewebe in ihre Haut bohren würde. Zumindest erschien ihr das wie die Art von Scherz, die die Königin amüsant finden könnte. Doch nichts geschah. Die Kissen waren sehr bequem, sodass Clary sich, mit den anderen in ihrer Nähe, ein wenig entspannte.
Ein Kobold mit bläulicher Haut kam mit einem Tablett zu ihnen, auf dem vier silberne Teeschalen standen. Er bot jedem von ihnen eines der heiß dampfenden Gefäße an. Die Schalen enthielten eine goldbraune Flüssigkeit, auf der Rosenblätter schwammen.
Simon stellte seine Schale neben sich auf den Boden.
»Möchtest du nichts trinken?«, fragte der Kobold.
»Das letzte Feengetränk, das ich zu mir genommen habe, ist mir nicht besonders bekommen«, murmelte er.
Clary hörte ihn kaum. Das Getränk verströmte einen betörenden Duft, intensiver und aromatischer als Rosenwasser. Sie fischte eines der Blütenblätter aus der Flüssigkeit und zerdrückte es zwischen Daumen und Zeigefinger, wodurch noch mehr Duft freigesetzt wurde.
Jace schubste sie am Arm. »Trink auf keinen Fall davon«, murmelte er mit gedämpfter Stimme.
»Aber …«
»Vertrau mir.«
Clary stellte die Schale ab, genau wie Simon es getan hatte. Ihr Daumen und Zeigefinger waren leuchtend rosa verfärbt.
»Wie Meliorn mir berichtet«, sagte die Königin, »behauptet ihr zu wissen, wer unser Kind vergangene Nacht im Park getötet hat. Allerdings muss ich sagen, dass mich dieser Vorfall vor kein besonders großes Rätsel stellt. Ein Feenkind, dem sämtliches Blut entzogen wurde … Seid ihr hier, um mir den Namen eines einzelnen Vampirs zu bringen? Doch ihr solltet wissen, dass sich in diesem speziellen Fall alle Vampire im Unrecht befinden, weil durch sie das Gesetz gebrochen wurde – und dementsprechend sollten auch alle bestraft werden. Denn trotz unseres äußerlichen Erscheinungsbilds sind wir kein wählerisches Volk.«
»Ach, ich bitte Euch«, sagte Isabelle. »Das waren keine Vampire.«
Jace warf ihr einen warnenden Blick zu. »Was Isabelle damit sagen möchte, ist Folgendes: Wir sind uns fast hundertprozentig sicher, dass der Mörder jemand anderes gewesen ist. Und wir glauben, dass er den Verdacht auf die Vampire zu lenken versucht, um sich selbst zu schützen.«
»Hast du dafür irgendwelche Beweise?«
Jace’ Stimme klang ruhig, aber Clary erkannte an seinen Schultern, wie angespannt er war. »Letzte Nacht wurden auch die Brüder der Stille brutal umgebracht und keinem von ihnen hat man das Blut abgezapft.«
»Und was hat das mit unserem Kind zu tun? Tote Nephilim sind eine Tragödie für die Nephilim, aber für mich vollkommen unbedeutend.«
Plötzlich spürte Clary einen scharfen Schmerz in ihrer Hand. Als sie nach unten schaute, sah sie die winzige Gestalt einer Elfe, die zwischen den Kissen davonschwirrte. Ein roter Blutstropfen quoll aus Clarys Fingerkuppe; sie steckte den Finger in den Mund und zuckte zusammen. Diese Elfen waren niedlich, konnten aber verdammt böse zustechen.
»Gestern Abend wurde außerdem das Schwert der Seelen gestohlen«, fuhr Jace fort. »Habt Ihr schon einmal von Mellartach gehört?«
»Das Schwert, das die Schattenjäger dazu bringt, die Wahrheit zu sagen?«, erwiderte die Königin mit
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