Chroniken der Unterwelt Bd. 3 City of Glass
Schlimmer als das, was du mir bisher erzählt hast?, schoss es Clary durch den Kopf. Doch sie biss sich auf die Lippe und nickte. »Schieß los und erzähl es mir. Ich möchte lieber die ganze Wahrheit hören.«
»Als Madame Dorothea mir berichtete, dass Valentin in New York gesichtet worden war, wusste ich, dass er mich suchte - mich und den Engelskelch. Ich wollte fliehen, konnte mich aber nicht dazu überwinden, dir den Grund zu erklären. Ich mache dir überhaupt keine Vorwürfe, dass du an jenem schrecklichen Abend fortgelaufen bist, Clary. Im Gegenteil: Ich war einfach nur froh, dass du nicht da warst, als dein Vater … als Valentin und seine Dämonen in unsere Wohnung einbrachen. Mir blieb gerade noch genügend Zeit, den Zaubertrank zu schlucken - ich konnte sie bereits an der Wohnungstür hören …« Jocelyn verstummte einen Augenblick, und als sie schließlich fortfuhr, klang ihre Stimme angespannt. »Ich hatte gehofft, Valentin würde mich für tot halten und zurücklassen, aber das tat er nicht. Er brachte mich in Renwicks Ruine und versuchte mit unterschiedlichen Mitteln, mich wieder aufzuwecken, doch nichts davon funktionierte. Ich befand mich in einer Art Trancezustand; im Unterbewusstsein bekam ich mit, dass er da war, konnte mich aber nicht bewegen oder seine Fragen beantworten. Vermutlich hat er nicht gedacht, dass ich ihn hören oder verstehen könnte. Und dennoch saß er Stunde für Stunde an meinem Bett und sprach mit mir.«
»Er hat mit dir gesprochen? Worüber denn?« »Über unsere Vergangenheit. Unsere Ehe. Wie sehr er mich geliebt habe und dass ich ihn hintergangen hätte. Und dass er seitdem keine andere mehr habe lieben können. Ich denke, er meinte es wirklich ernst - so ernst Valentin diese Dinge überhaupt meinen kann. Schon früher war ich immer diejenige gewesen, der er sich anvertraut hatte, der er seine Zweifel und seine Schuldgefühle gestanden hatte. Und in den Jahren nach meiner Flucht glaube ich nicht, dass er irgendjemand anderenzum Reden hatte. Ich denke, er konnte einfach nicht dem Drang widerstehen, mir alles zu erzählen, obwohl er wusste, dass er das eigentlich nicht tun sollte. Ich glaube, er hatte einfach das dringende Bedürfnis, mit jemandem zu reden.« Jocelyn holte tief Luft und fuhr dann fort: »Man sollte annehmen, dass ihn das, was er diesen armen Menschen, diesen Forsaken angetan hatte, am meisten beschäftigt hätte, oder seine Pläne bezüglich des Rats. Aber das war nicht der Fall. Er wollte ausschließlich über Jonathan reden.«
»Und worüber genau?«
Jocelyn presste die Lippen zusammen. »Er wollte mir sagen, wie leid ihm all die Dinge täten, die er Jonathan vor dessen Geburt angetan hatte, weil er wusste, dass ich fast daran zugrunde gegangen war. Er hatte gewusst, dass ich mir wegen Jonathan beinahe das Leben genommen hätte - allerdings ahnte er nicht, dass mich auch das Wissen um die Experimente, die er im Keller durchführte, fast in den Wahnsinn trieb. Na, jedenfalls war er irgendwie in den Besitz von Engelsblut gekommen. Engelsblut ist für Schattenjäger eine fast legendäre Substanz. Es heißt, der Genuss verleihe unglaubliche Kräfte. Valentin hatte es an sich selbst ausprobiert und dabei festgestellt, dass das Blut ihm nicht nur mehr Kraft schenkte, sondern auch ein Gefühl der Euphorie und des Glücks. Also hatte er etwas Blut genommen, es zu Pulver getrocknet und dieses unter mein Essen gemischt, in der Hoffnung, es würde gegen meine Verzweiflung helfen.«
Ich weiß, woher er dieses Engelsblut hatte, dachte Clary und erinnerte sich schmerzhaft an Ithuriel. »Und, hat es gewirkt?«
»Heute frage ich mich, ob das vielleicht der Grund dafür war,dass ich plötzlich wieder klar denken und Luke dabei helfen konnte, Valentins Pläne für den Aufstand zu durchkreuzen. Welch eine Ironie des Schicksals - wenn man bedenkt, warum Valentin mir das Blut verabreicht hatte. Allerdings ahnte Valentin zu der Zeit nicht, dass ich bereits mit dir schwanger war. Und während das Engelsblut bei mir möglicherweise eine leichte Wirkung zeigte, muss es dich auf jeden Fall enorm beeinflusst haben. Ich denke, das ist der Grund dafür, dass du heute diese Fähigkeiten besitzt… dass du Runen erschaffen kannst.«
»Und möglicherweise auch der Grund, weswegen du solche Dinge tun kannst wie das Bild des Engelskelchs in einer Tarotkarte zu verstecken. Und weswegen Valentin den Fluch, der auf Hodge lag, aufheben konnte …«, überlegte
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