Chroniken der Unterwelt Bd. 3 City of Glass
»Ich wollte Luke nicht davon erzählen, weil ich wusste, dass ihm diese ganze Geschichte, die Sache mit dem Zaubertrank nicht gefallen würde. Aber alle anderen, die ich kannte, gehörten dem Kreis an. Und Ragnor ließ mich wissen, dass er Idris verlassen wolle und nicht wisse, wann er zurückkehren würde; allerdings könnte ich ihm jederzeit eine Nachricht zukommen lassen. Doch wer sollte ihm im Zweifelsfall die Nachricht schicken? Schließlich wurde mir klar, dass es nur einen Menschen gab, dem ich davon erzählen konnte - jemand, der Valentin genügend hasste, um mich niemals an ihn zu verraten. Also schrieb ich Madeleine einen Brief, in dem ich mein Vorhaben erläuterte und ihr mitteilte, der einzige Weg zu meiner Rettung bestünde darin, Ragnor Fell aufzusuchen. Obwohl ich von ihr keine Antwort erhielt, musste ich einfach darauf vertrauen, dass sie meine Nachricht bekommen und verstanden hatte. Das war das Einzige, woran ich mich klammern konnte.«
»Zwei Gründe … Du hast gesagt, du wärst aus zwei Gründen bei Valentin geblieben«, warf Clary ein. »Der erste Grund war der Aufstand. Und was war der andere?«
Jocelyn wirkte zwar müde, warf Clary aber einen leuchtenden Blick aus ihren grünen Augen zu. »Kannst du das nicht erraten, Clary?«, fragte sie. »Der zweite Grund war die Tatsache, dass ich erneut schwanger war. Mit dir.«
»Oh«, murmelte Clary mit dünner Stimme und erinnerte sichan Lukes Worte: Sie trug ein weiteres Kind unter dem Herzen, hatte schon seit Wochen gewusst, dass sie wieder schwanger war. »Aber hat das nicht den Wunsch in dir geweckt, nun erst recht zu fliehen?«, hakte Clary nach.
»Doch«, erklärte Jocelyn. »Aber ich wusste, dass das unmöglich war. Wenn ich vor Valentin geflohen wäre, hätte er Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um mich zurückzubekommen. Er hätte mich bis ans Ende der Welt verfolgt, weil ich ihm gehörte und er mich niemals hätte gehen lassen. Vielleicht wäre ich das Risiko für mich selbst ja eingegangen und hätte es darauf ankommen lassen, aber ich hätte niemals zulassen können, dass er dir ein Leid zufügt.« Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem erschöpften Gesicht. »Es gab nur einen Weg, das zu verhindern. Und der bestand darin, dass Valentin sterben musste.«
Überrascht schaute Clary ihre Mutter an. Jocelyn wirkte zwar noch immer müde, aber in ihren Augen funkelte eine eiserne Entschlossenheit.
»Ich ging davon aus, dass er bei dem Aufstand ums Leben kommen würde«, fuhr sie fort. »Ich hätte ihn niemals eigenhändig töten können. Irgendwie konnte ich mich nicht dazu überwinden. Aber ich hätte nicht gedacht, dass er die Schlacht überleben könnte. Und später, als ich vor den Überresten des niedergebrannten Landguts stand, wollte ich glauben, dass er tot war. Wieder und wieder habe ich mir einzureden versucht, dass er und Jonathan in dem Feuer umgekommen waren. Aber tief in mir drin wusste ich…«Ihre Stimme verstummte einen Moment und sie sprach erst nach einer Weile weiter. »Das ist der Grund, warum ich Idris verlassen und all die Dinge getanhabe, die du mir vorgeworfen hast. Ich dachte, es sei der einzige Weg, dich zu beschützen - indem ich dir deine Erinnerungen nahm und dich weitestgehend wie eine Irdische aufwachsen ließ. Indem ich dich in der Welt der Irdischen versteckte. Das war dumm - das weiß ich inzwischen auch. Dumm und falsch. Und es tut mir leid, Clary. Ich kann nur hoffen, dass du mir verzeihen wirst - wenn nicht jetzt, dann doch vielleicht eines Tages.«
»Mom.« Clary musste sich räuspern; sie hatte seit etwa zehn Minuten das Gefühl, jeden Moment in Tränen auszubrechen. »Ist schon in Ordnung. Es … es gibt da nur noch eine Sache, die ich nicht verstehe.« Aufgewühlt wickelte sie den Stoff ihres Umhangs um ihre Finger. »Ich … ich wusste ja bereits in Teilen, was Valentin Jace angetan hat - ich meine, Jonathan angetan hat. Aber die Art und Weise, wie du Jonathan beschreibst … das klingt, als wäre er ein Monster. Aber, Mom, so ist Jace nicht. So ist er überhaupt nicht. Wenn du ihn kennen würdest… wenn du ihn nur einmal treffen könntest…«
»Clary.« Jocelyn nahm Clarys Hand in ihre und hielt sie fest. »Da ist noch etwas, was ich dir erzählen muss. Nichts, das ich vor dir verborgen oder weswegen ich dich belogen hätte. Aber es gibt da ein paar Fakten, die ich selbst nicht wusste und erst kürzlich herausgefunden habe. Ein paar schwer verdauliche Fakten.«
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