Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
das Heilige Feuer des Allmächtigen erlebt und verspüre nicht den geringsten Wunsch, es gegen mich gerichtet zu sehen. Und ich bin nicht Valentin und schachere um Dinge, die ich nicht verstehe. Ich bin eine Dämonin, und zwar eine sehr alte. Ich kenne die Menschheit besser, als du dir vorstellen kannst. Und ich kenne ihre Schwächen — Stolz, Machtgier, Wollust, Habsucht, Eitelkeit und Liebe.«
»Liebe ist keine Schwäche.«
»Ach nein?«, konterte sie und schaute an Simon vorbei, mit einem Ausdruck in den Augen, der so kalt und spitz war wie ein Eiszapfen.
Simon folgte ihrem Blick — eigentlich wollte er es nicht, aber er wusste, dass ihm keine andere Wahl blieb — und schaute hinter sich.
Auf dem Steinpfad zwischen den Rosenhecken stand Jace. Er trug einen dunklen Anzug und ein weißes Hemd. Vor ihm stand Clary, noch immer in ihrem hübschen goldfarbenen Kleid, das sie auf der Party im Ironworks getragen hatte. Ihre langen roten Locken hatten sich aus der Hochsteckfrisur gelöst und umspielten ihre Schultern. Sie verharrte vollkommen reglos im Wind, von Jace’ Armen umfangen. Die beiden hätten fast ein romantisches Bild abgegeben, wenn Jace nicht ein langes, glitzerndes Messer mit Elfenbeingriff an Clarys Kehle gedrückt hätte.
Simon schaute Jace an, starr vor Entsetzen. Auf dem Gesicht des Schattenjägers zeigte sich nicht die geringste Regung und seine Augen wirkten stumpf und vollkommen ausdruckslos.
Dann senkte er ganz leicht den Kopf und verkündete: »Ich habe sie Euch gebracht, Lady Lilith. Genau wie Ihr es mir aufgetragen habt.«
17
DA ERHOB SICH KAIN
Nie zuvor war Clary derart kalt gewesen — nicht einmal, als sie sich aus dem Lyn-See ans Ufer geschleppt und sein giftiges Wasser hustend und prustend auf den Sand gespuckt hatte. Selbst als Jace vor ihren Augen gestorben war, hatte sie nicht diese schreckliche, lähmende Eiseskälte in ihrem Herzen gespürt. Damals hatte sie vor Wut innerlich gebrannt, vor Hass auf ihren Vater. Doch jetzt spürte sie nichts außer Kälte — Kälte bis tief hinab in die Zehen.
Sie war im Marmorfoyer eines seltsamen Gebäudes aus ihrer Ohnmacht erwacht, im Schatten eines dunklen Kronleuchters. Jace hatte sie getragen, den rechten Arm unter ihre Knie gelegt, während der linke ihren Kopf stützte. Da ihr noch immer total schwindlig gewesen war, hatte sie einen Moment lang ihre Stirn in seine Halsbeuge geschmiegt und sich zu erinnern versucht, wo sie war.
»Was ist passiert?«, hatte sie geflüstert.
Inzwischen hatte Jace mit ihr den Aufzug erreicht und Clary hörte ein Rattern, was bedeutete, dass sich die Kabine zu ihnen hinabbewegte. Aber wo waren sie?
»Du bist in Ohnmacht gefallen«, erklärte Jace.
»Aber wie …?« Doch plötzlich kehrte ihre Erinnerung zurück und sie verstummte: Seine Hände auf ihrem Körper, das Brennen der Stele auf ihrer Haut, die Dunkelheit, die sie wie eine Woge überspült hatte. Mit der Rune, die er ihr auf den Arm aufgetragen hatte, war irgendetwas nicht in Ordnung gewesen — sie hatte seltsam ausgesehen und sich falsch angefühlt. Einen Moment lang verharrte Clary reglos in seinen Armen, dann forderte sie: »Lass mich runter.«
Jace setzte Clary ab und sie sahen einander an. Nur wenige Zentimeter trennten sie voneinander. Clary hätte mühelos die Hand ausstrecken und ihn berühren können, aber zum ersten Mal seit ihrer ersten Begegnung im Pandemonium war ihr die Lust daran vergangen. Sie hatte das schreckliche Gefühl, vor einem Fremden zu stehen. Er sah aus wie Jace, klang wie Jace und fühlte sich auch an wie Jace, aber seine Augen wirkten seltsam leer und distanziert, genau wie das winzige Lächeln, das seine Mundwinkel umspielte.
Hinter ihm schwang die Aufzugstür auf. Der Anblick erinnerte Clary daran, wie sie im Kirchenschiff des Instituts gestanden und vor verschlossener Aufzugstür »Ich liebe dich auch« gesagt hatte. Die dunkle Öffnung hinter Jace war so schwarz wie der Eingang zu einer Höhle. Verstohlen tastete Clary nach ihrer Stele, doch sie war verschwunden. »Du hast dafür gesorgt, dass ich in Ohnmacht gefallen bin«, sagte sie vorwurfsvoll. »Mit einer Rune. Und du hast mich hierhergebracht. Warum?«
Sein attraktives Gesicht wirkte vollkommen ausdruckslos. »Ich musste es tun. Mir blieb keine andere Wahl.«
In diesem Augenblick wirbelte Clary herum und rannte in Richtung Ausgang, doch Jace war schneller als sie, war es schon immer gewesen.
Mit einem Satz stand er vor ihr, versperrte ihr den Weg
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