Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser
dass ich ein klareres Bild empfangen werde, je mehr wir uns ihm nähern.«
Humboldt räumte das Buch weg und kam zu ihnen zurück. »Auf jeden Fall ist es ein enormer Fortschritt. Wir müssen davon ausgehen, dass auch andere Unternehmen auf die Idee kommen könnten, eine solche Expedition anzutreten. Denkt daran: Es gab noch mehr solcher Platten. Aber die Tatsache, dass Eliza einen Kontakt herstellen konnte, verschafft uns einen gewaltigen Vorteil.«
»Was meinen Sie?«
»Es wird ab jetzt immer wieder möglich sein, mit Boswell Verbindung aufzunehmen. Wir können herausfinden, was er gerade tut und wo er sich aufhält. Vielleicht können wir ihm sogar mittels Telepathie Botschaften zukommen lassen.«
»Vorausgesetzt, er bleibt lange genug am Leben.« Elizas Gesichtsausdruck wirkte besorgt. »Was ich gesehen habe, war keineswegs ermutigend.«
»Ein Grund mehr, dass wir uns beeilen«, sagte Humboldt. »Jemand wie er könnte für das Gelingen unserer Reise von unschätzbarem Vorteil sein. Stellt euch nur mal vor, was er uns alles zu erzählen hätte.« Humboldt strahlte vor Aufregung, als er sich erhob und zu seiner Glasvitrine hinüberging. »Auf diese gute Nachricht brauche ich erst mal einen Schluck«, sagte er und nahm eine Flasche und ein Glas heraus.
In diesem Moment erklang draußen im Hof das Geklapper von Hufen. Der Forscher spähte über den Rand seiner Brille durchs Fenster. Eine Kutsche war vorgefahren. Der Fahrer stieg ab und begann damit, Gepäckstücke abzuladen. Oskar glaubte eine junge Frau zu erkennen, die im Inneren der Droschke saß.
Humboldt stellte Flasche und Glas auf den Tisch und ging zum Fenster. »Da ist sie ja endlich. Das wurde aber auch langsam Zeit.«
8
Die junge Frau trug ein weißes Kopftuch, unter dem einige blonde Strähnen hervorlugten. Ihr Gesicht war länglich und von ausgesprochen heller Farbe. Sie sah aus, als würde sie wenig Zeit an der frischen Luft verbringen. Ihre hohen Wangenknochen, die schmalen, fein gezogenen Augenbrauen und der geschwungene Mund verliehen ihr ein hochmütiges Aussehen. Nicht unbedingt sein Typ, entschied Oskar, aber doch interessant genug, nicht gleich jedes Interesse zu verlieren.
Sie trug ein hellblaues Kleid und weiße Schuhe, die ihr kühles Erscheinungsbild unterstrichen. Eine der typischen feinen Großstadtdamen, die Oskar schon oft bewundert, die ihn aber immer mit Verachtung gestraft hatten.
In Humboldts Begleitung trat er aus dem Haus und ging auf sie zu. Er wollte gerade zu einem fragenden Lächeln ansetzen, als sich ihre Blicke kreuzten. Die Augen des Mädchens hatten denselben eisgrauen Farbton wie die des Forschers.
Er schwieg.
»Hallo Onkel«, sagte sie, ohne Oskar weiter zu beachten. »Ich hoffe, ich komme nicht zu spät. Ich hatte leider keine Zeit, dir wegen meiner Ankunft zu telegrafieren.«
»In der Tat? Wir warten hier schon alle sehnsüchtig auf dich«, sagte Humboldt. »Wie war deine Reise?«
»Lang und beschwerlich, wie immer«, sagte das Mädchen. »Ich habe das Gefühl, der Kutscher ist durch jedes Schlagloch zwischen Heiligendamm und Berlin gefahren. Ich kann es kaum erwarten, mir endlich etwas Bequemes anzuziehen.« Ihr Blick streifte Oskar. »Wer ist das?«
»Ein Gast. Ein sehr talentierter junger Mann, den ich als Diener mitzunehmen gedenke. Ich dachte mir, er wird unsere kleine Expedition verstärken. Oskar, das ist meine Nichte Charlotte.«
»Sehr erfreut.« Ernsthaft bemüht um ein möglichst gutes Benehmen, streckte er ihr die Hand entgegen. Schließlich musste die junge Dame ja nicht gleich erfahren, dass er auf der Straße aufgewachsen war, doch das Mädchen ignorierte ihn.
»Ein neuer Diener? Wo hast du ihn gefunden? Hat er gute Referenzen?«
Humboldt musste sich ein Lachen verkneifen. »Nun, das vielleicht nicht gerade, aber ich habe das Gefühl, dass er genau der Richtige ist. Und ein weiterer Mann ist für diese Reise unerlässlich. Warum gehen wir nicht ins Haus und unterhalten uns drinnen weiter?«
»Sehr gerne, Onkel.« Mit einem kühlen Blick in Oskars Richtung sagte sie: »Die Koffer kommen ins Mansardenzimmer, ganz die Treppe rauf. Und sei vorsichtig damit, sie sind sehr alt und sehr wertvoll. Ich möchte nicht, dass sie irgendwelche Schrammen abbekommen.« Damit eilte sie in Begleitung ihres Onkels an ihm vorbei und durch die Haustür.
Oskar blieb wie vom Donner gerührt stehen. Was für eine Zicke! Humboldt hatte ihm nichts von einer Nichte erzählt, geschweige denn davon, dass
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