Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Titel: Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
Vom Netzwerk:
skeptischen Blick zu.
    Als sich die Kutsche in Bewegung setzte, schluckte Oskar sein schlechtes Gewissen hinunter. Es war ihm nicht wohl dabei, seinen Herrn zu belügen, aber besondere Situationen erforderten eben besondere Maßnahmen.

16
     
     
    Die Sonne war bereits hinter dem Meer verschwunden, als Oskar die Mauern des Anwesens erreichte. Über ihm schimmerten erste Sterne am Himmel. Vom Haupthaus der Hazienda erklang Musik, die sich mit dem Zirpen der Grillen zu seltsamen Melodien vermischte. Das Erdgeschoss war erfüllt von Lichtern. Oskar hörte Lachen und das Klappern von Geschirr. Der Geruch von gebratenem Fleisch lag in der Luft und ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen.
    Er hatte den anderen nichts von seinem Vorhaben erzählt. Unter dem Vorwand, er müsse dringend eine Mütze Schlaf nachholen, hatte er sich aus der Gaststube gestohlen und auf den Weg gemacht. Wenn alles gut ging, durfte er jetzt endlich beweisen, was er konnte. Wenn nicht … Nun, er konnte nur beten, dass er nicht im Begriff stand, eine riesengroße Dummheit zu machen.
    Hinter einen Busch gekauert, blickte er zum Haupttor hinüber. Vor sich, in der Dunkelheit des Wachhäuschens, sah er das Aufflammen eines Streichholzes, gefolgt vom rötlichen Glimmen eines Zigarillos. Offensichtlich machte es sich die Wache gerade gemütlich. Gut so. Was Oskar jetzt nicht brauchte, war ein aufmerksamer Posten.
    Er verließ den Schutz des Busches, überquerte die Straße und lief im Schatten der Mauer in nördlicher Richtung. Über den Bergen ging der Mond auf. Ein gelblich-fahler Ball, der rasch an Helligkeit zunahm. Nach etwa dreihundert Metern machte die Mauer einen Knick. Oskar spähte um die Ecke und lief dann weiter. Vor ihm schälte sich eine riesenhafte Form aus der Dunkelheit. Das musste der Baum sein, von dem Capac ihm erzählt hatte. Mit flinken Bewegungen kletterte er den Stamm hoch, ergriff einen Zweig und schwang sich empor. Nach einigen Metern konnte er bereits über die Mauer sehen. Ein Wachposten schlenderte mit geschultertem Gewehr den Kiesweg entlang, der das Haus umgab. Oskar wartete, bis er hinter der nächsten Biegung verschwunden war, dann hangelte er sich einen langen Ast entlang über die Mauerkrone. Auf der anderen Seite stand, wie versprochen, die Leiter. Er wartete ein paar Sekunden, sondierte noch einmal das Gelände und kletterte dann lautlos hinunter. Die Bäume im Park warfen lange Schatten. Langsam und mit äußerster Vorsicht schlich er näher ans Haus. Als er glaubte, die richtige Stelle gefunden zu haben, tauchte er hinter einen Busch und wartete. Keinen Augenblick zu früh, denn in diesem Moment kam der Wachposten zurück. Ein Lied vor sich hin pfeifend, schlenderte er an Oskars Versteck vorbei, wobei er immer wieder stehen blieb, um einen Blick ins Innere des hell erleuchteten Hauses zu werfen. Vermutlich hätte er selbst gerne mit einer der jungen Damen getanzt, die durch die Scheiben zu sehen waren.
    Als er endlich verschwunden war, fasste Oskar sich ein Herz. Auf Zehenspitzen schlich er über den Kiesweg. Unter den Weinranken hob er den Kopf. »Capac.«
    Eine schattenhafte Bewegung war auf dem Balkon zu sehen. Die Erscheinung trat ins Licht und winkte mit der Hand. »Venir.«
    Oskar packte die Ranken des wilden Weins, stemmte seine Füße gegen die Mauer und begann sich hochzuziehen. Es gab ein Rascheln und Knacken, als würde ein Elefant durchs Unterholz stampfen, aber wenigstens hielt die Ranke. Er beeilte sich, den Balkon zu erreichen. Die Angst, dass der Wachposten ihn gehört haben könnte, trieb ihn an. Endlich gelang es ihm, das schmiedeeiserne Geländer zu fassen. Capac reichte ihm seine Hand und zog ihn in Sicherheit. Alles war gut gegangen. Oskar kauerte am Boden, keuchend wie eine Dampflok. Die Luft war auch am Abend nicht merklich abgekühlt. In diesem Augenblick ertönte eine Stimme von unten. »Quien es?«
    Der Wachposten. Er hatte also doch etwas gehört.
    Der Indianer gab ihm mit Zeichen zu verstehen, dass er sich ruhig verhalten solle. Dann trat er vor und winkte hinunter. »Manuel, ilegas tarde.«
    »Capac?« Der Wachposten trat ins Licht. Als er den Indianer erblickte, entspannte er sich. »Pense que era un ladron.« Die beiden wechselten noch ein paar Worte, dann verschwand er wieder.
    Oskar atmete auf.
    »Rapido«, sagte Capac. Er drückte Oskar einen Beutel mit Münzen in die Hand. »Eso es todo.«
    Oskar öffnete den Beutel und sah blankes Silber darin funkeln.
    »Und nicht vergessen

Weitere Kostenlose Bücher