Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser
meines Vaters«, sagte Humboldt. »Ich trage mich mit dem Gedanken, ein Buch über ihn zu schreiben und meine eigenen Forschungen über die Region zu vertiefen.«
»Seit Ihr Vater in Lima war, sind neunzig Jahre vergangen«, gab der Gouverneur zu bedenken. »Seitdem wurde hier ausgiebig geforscht. Ich fürchte, Sie werden hier nicht mehr viel Neues entdecken.«
Humboldt wiegte den Kopf. »Das gilt nur für die Küste. Große Teile der Anden sind immer noch unerforscht. Mein Ziel ist es, den Camana stromaufwärts zu reisen, bis hin zur Colca-Schlucht. Ich hörte, es sei die tiefste Schlucht der Erde. Ich erwarte mir spektakuläre Aufschlüsse über die urzeitliche Entwicklung unseres Planeten.«
Der Gouverneur stemmte die Hände gegen die Tischplatte und musterte sie eindringlich. »Der Colca? Das ist eine wilde Gegend voller Unwägbarkeiten. Sind Sie sicher, dass Sie die beiden Damen einer solchen Gefahr aussetzen wollen?«
»Die Damen sind Gefahren gewöhnt. Wir sind eine eingespielte Truppe.«
Die Augen des Provinzverwalters drückten Unglauben aus. Dann schüttelte er den Kopf. »Von hier bis zum Eingang der Schlucht sind es einhundertvierzig Kilometer. Selbst wenn Sie dreißig Kilometer am Tag zurücklegen, so werden Sie trotzdem einige Zeit unterwegs sein. Zu lange, als dass ich Ihnen eine Eskorte zur Verfügung stellen könnte.«
»Das wird auch nicht nötig sein«, sagte Humboldt. »Alles, was wir benötigen, sind einige Maultiere und Proviant.«
»Keinen Führer?«
Humboldt verneinte.
»Sie sind ein verwegener Mann, Señor Humboldt«, sagte der Gouverneur. »Leichtsinnig, aber verwegen.
Wenn Sie wirklich darauf bestehen, werde ich veranlassen, dass alles nach Ihren Wünschen vorbereitet wird. Wann soll es losgehen?«
»Wenn Sie erlauben, gleich morgen früh.«
»Gut.« Der Provinzverwalter rief den Indio wieder zu sich. »Du hast gehört, was die Herrschaften wollen?«
»Si, Señor.«
»Geh und veranlasse alles Nötige. Und beeil dich ein bisschen, du Tölpel. Auf, auf!« Er wedelte mit der Hand, als würde er eine Fliege verscheuchen. Dann öffnete er eine Schublade und entnahm ihr einige Dokumente. »Sie werden Genehmigungen und Passierscheine brauchen. Es kann vorkommen, dass Sie einer meiner Patrouillen in die Hände laufen. In dieser Gegend sind in den letzten Jahren unverhältnismäßig viele Menschen verschwunden. Wir tippen auf regierungsfeindliche Rebellen. Wenn Sie sich nicht ausweisen können, haben Sie ein Problem.« Er lächelte und ließ einen Goldzahn funkeln. »Wenn Sie so freundlich wären, mir Ihre Pässe zu geben, dann werde ich die Passierscheine und Reisegenehmigungen gleich für Sie ausstellen.«
Humboldt händigte ihm die gesammelten Ausweise und Papiere aus und Alvarez begann, die Namen der vier Abenteurer auf verschiedenen gelbstichigen Dokumenten einzutragen. Es dauerte eine Weile, bis er seine Arbeit beendet hatte. Er tupfte mit einem Löschstempel über die frische Tinte, rollte die Dokumente zusammen, steckte sie in eine lederne Röhre und verschloss diese mit einem dazugehörigen Deckel. Dann klappte er die Pässe zusammen und gab sie ihnen zurück.
»So«, sagte er und erhob sich. »Das wär’s. Diese Dokumente erlauben Ihnen, frei in meiner Provinz umherzureisen. Sie unterstehen damit praktisch meinem persönlichen Schutz.« Er schob die lederne Röhre über den Tisch. Doch noch ehe der Forscher danach greifen konnte, sagte er: »Das macht dann zwanzigtausend Pesos.«
Humboldts Hand verharrte in der Luft.
»Wie viel?«
»Zwanzigtausend. Für jeden von Ihnen fünftausend.« Der Goldzahn funkelte.
Humboldt zog seine Hand zurück. »So viel habe ich nicht.«
Die Augenbrauen des Provinzverwalters fuhren in die Höhe. »Aber, aber, Señor Humboldt. Bei dem Vermögen, das Ihr Vater Ihnen hinterlassen hat? Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie eine solch lächerliche Summe nicht auftreiben können.«
»So viel habe ich nicht bei mir, wollte ich sagen«, erwiderte der Forscher mit grimmigem Gesicht. »Es befindet sich an einem sicheren Ort in unserem Gepäck. Es wird einige Zeit in Anspruch nehmen, es auszupacken. Ich werde es Ihnen morgen vorbeibringen.«
Alvarez’ Lächeln wurde breiter. »Oh, das tut mir leid. Morgen ist es für mich ganz ungünstig. Ich empfange heute Abend noch wichtige Gäste. Sie werden den nächsten Tag bleiben und bedürfen meiner vollen Aufmerksamkeit. Kommen Sie doch übermorgen, dann werden wir das Geschäftliche hinter uns
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