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Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Titel: Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Die Menschen schrumpften, bis sie die Größe von Ameisen hatten. Erst jetzt konnte Oskar die wahre Ausdehnung der Stadt erkennen. Die Tempel, die Brücken, die schwebenden Plätze, ihre Gärten und Plantagen und der Wasserfall, dessen immerwährender Strom im Licht der Sonne einen Regenbogen reinster Farbe erzeugte. Oskar fühlte, wie Charlotte nach seiner Hand tastete. Er ergriff sie und hielt sie fest.
    Er hielt sie immer noch, als Xi’mal schon längst aus ihrem Blickfeld entschwunden war.
    Es war früher Abend, als die Hurakan in einen Sinkflug überging. Sie hatten die Wolkendecke hinter sich gelassen und waren hinaus aufs offene Land geflogen. Ab jetzt würden sie für jedermann sichtbar sein. Ein Luftfahrzeug von diesen Ausmaßen war sicher aus weiter Ferne erkennbar. Noch dazu flogen sie in einer Höhe von nur wenigen Hundert Metern. Trotzdem schätzte Oskar die Gefahr relativ gering ein. Das Land unter ihnen war karg und leer. Eine endlose, goldgelbe Wüste erstreckte sich von Horizont zu Horizont. Es gab keine Häuser, keine Dörfer oder Siedlungen, nur weiße Schlangenlinien, die darauf hindeuteten, dass hier vor Urzeiten einmal Wasser geflossen war.
    Yupans Federschmuck bewegte sich sanft im Wind, während er hinaus auf das Meer aus Sand und Geröll blickte. In seinem Arm hielt er Wilma, die es augenscheinlich sehr genoss, die Welt von oben zu betrachten. Oskar betrachtete die beiden und lächelte versonnen. Ob sich im Kopf des Vogels wohl Erinnerungen regten – Erinnerungen an eine Zeit, als seine Vorfahren noch fliegen konnten? Zumindest schien Wilma keine Angst zu verspüren.
    Zwischen ihr und Yupan hatte sich eine innige Freundschaft entwickelt. Es war, als spürte der Vogel die tiefe Liebe des Priesters zu allem, was einen Schnabel und Flügel besaß, mochten diese auch klein und stummelig sein.
    Oskar steckte die Hände in die Hosentaschen und schlenderte zu den anderen hinüber. Humboldt und Charlotte waren damit beschäftigt, die Batterien des Linguaphons wieder aufzuladen. Sie hatten sie beim Start an das elektrische System der Hurakan gehängt und überprüften nun den Ladestatus. »Und, wie sieht’s aus?« Oskar beugte sich vor und sah zu, wie der Forscher eine der Zellen an eine Testbirne hielt. Sofort flammte ein Licht auf. Humboldt nickte zufrieden. »Ich glaube, wir können die restlichen auch abklemmen, sie sind voll.«
    »Dann hat es also wirklich geklappt«, sagte Charlotte. »Gut so, das Linguaphon war beinahe leer.«
    »Ja, ich muss auf Dauer etwas an seinem Stromverbrauch ändern«, bemerkte der Forscher. »Stellt euch mal vor, wir kommen in eine Gegend, in der Menschen leben, die nicht so fortschrittlich sind.«
    »Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, es so zu machen wie die Hanaq Pacha?«, fragte Oskar.
    »Was meinst du?«
    »Ich rede von den Sonnenkollektoren. Vielleicht ließe sich ja aus dem Licht der Sonne direkt Strom herstellen, ohne den Umweg über den Wasserstoff.«
    »Interessanter Gedanke«, murmelte der Forscher, dann lächelte er. »Ich sehe schon, in dir steckt auch ein echter Forscher. Ich habe mich nicht in dir getäuscht. Vielleicht hast du ja Interesse, mir nach unserer Rückkehr bei diesem Projekt zu assistieren.« Oskar strahlte.
    Auf einmal ertönte vom Ausguck her ein Ruf. Sie sahen, wie Yupan ein paar Worte mit dem Mann im Krähennest wechselte und dann zu ihnen herüberkam. Schnell halfen sie Humboldt dabei, die restlichen Batterien abzuklemmen, dann eilten sie an die Reling. Oskar musste seine Augen wegen der gleißenden Helligkeit beschirmen. Zuerst konnte er nichts erkennen außer drei kleinen Flugfahrzeugen, die in geringer Höhe über den Boden sausten. Jedes schien nur von einer Person gesteuert zu werden. »Wer ist denn das?«, fragte er. »Geleitschutz?«
    Yupan hängte sich das Linguaphon wieder um den Hals und schüttelte den Kopf. »Das sind die Initiierten.«
    »Die Ini … was?«
    »Es ist bei uns so Brauch, dass sich jeder junge Mann einer Prüfung unterziehen muss, ehe er in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen wird«, erläuterte Yupan. »Gibt es so etwas bei euch nicht?«
    »Nicht in dieser Form«, sagte Humboldt. »Natürlich haben auch wir bestimmte Herausforderungen, aber bei uns muss sich jeder auf seine eigene Art beweisen.« Er bedachte Oskar mit einem versteckten Lächeln.
    »Und wie sieht dieser Ritus genau aus?« Oskar erinnerte sich mit Schaudern an einige Zeichnungen, die er in Humboldts Bibliothek gesehen hatte.

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