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Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Titel: Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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»Am besten, ihr macht euch selbst ein Bild.«
    Die Hurakan ging in eine leichte Rechtskurve und steuerte in Richtung des seltsamen Plateaus. Je näher sie kamen, desto unwirklicher sah das Ganze aus. Die Oberseite des Berges war so flach und glatt, als habe jemand mit einem heißen Messer durch ein Stück Butter geschnitten.
    »Da soll mich doch der Teufel holen«, murmelte Humboldt. »Ich beginne zu verstehen, wovon Sie sprechen, Yupan. Aber es ist eigentlich unmöglich. Das abgetragene Material müsste doch irgendwo hier herumliegen.«
    Das Schiff hatte das Plateau erreicht und begann, an dessen Flanken emporzusteigen. Als sie genügend Höhe hatten, konnten die fünf Abenteurer sehen, was sich darauf befand. Die untergehende Sonne warf flache Strahlen über die Ebene, die jedes Detail plastisch hervortreten ließen. Die Bilder wirkten so lebendig, dass Charlotte für einen Moment glaubte, sie würden sich bewegen. »Das gibt’s doch nicht«, flüsterte sie. Sie spürte, wie ihre Knie weich wurden. Was sie sah, waren Insekten. Riesige, unförmige Ausgeburten der Hölle, mit Beinen, die so lang waren wie Holzkräne. Dutzende davon. In ihrer Mitte befand sich eine Kreatur, die größer war als alle anderen. Ein Riese unter den Riesen.
    Ihr Leib war derartig angeschwollen, dass es den Anschein hatte, als wolle er gleich platzen.
    »Das ist die Königin der Ukhu Pacha«, sagte der Priester mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Verachtung. »Sie lebt tief in den Eingeweiden der Erde, wo sie eine Generation nach der anderen gebiert. An die hundert Menschen werden jedes Jahr Opfer der Unterirdischen. Sie ist die Pest. Solange sie lebt, wird unser Volk keinen Frieden finden.«
    Charlotte konnte ihren Blick nur mit Mühe abwenden, doch ihre Neugier war stärker.
    Was sie entdeckte, entlockte ihr einen Ausruf des Erstaunens. »Seht mal da drüben!« Sie deutete auf eine Figurengruppe nur unweit der Ansammlung von Riesenschrecken. »Ich glaube, ich träume. Seht ihr das?«
    Humboldt und die anderen folgten ihrem Blick … und erstarrten.
    Der Vogelpriester nickte. »Das ist der Grund, warum ich euch hierhergebracht habe. Wir nennen diese Figurengruppe: Der Hüter, der Dieb, die Hexe und die Königin. Seht ihr die Sonnenstrahlen, die aus dem Kopf der Königin entspringen?« Er schenkte dem Mädchen ein warmes Lächeln. »Genau wie bei Euch.«
    Charlotte wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie hatte den Eindruck, Teil eines Traums zu sein. Mit einer fahrigen Bewegung strich sie sich durchs Haar. »Was … was hat das mit mir zu tun? Ich verstehe nicht …«
    Yupans Augen glommen wie zwei glühende Kohlestücke. »Ist das nicht offensichtlich? Ihr seid die Königin.«
    »Was soll ich sein?« Charlotte spürte, dass sie rot wurde. »Das ist doch …«
    »Ihr seid über das Meer gekommen, um uns aus der Knechtschaft der Ukhu Pacha zu befreien. Ihr und Euer Gefolge. Ihr alle seid hier, weil es seit Urzeiten so vorausgesagt wurde.« Charlotte ließ ihren Blick über den Wüstensand schweifen. Die Darstellung zeigte die vier Abenteurer im Kampf gegen die Insekten. Es war eine blutrünstige Szene, voller abgehackter Arme und Beine.
    »Und was ist mit mir?« Harry Boswell schien enttäuscht zu sein. »Komme ich in der Prophezeiung nicht vor?«
    »Oh doch«, antwortete Yupan. Er nahm den Reporter beiseite und deutete auf eine andere Stelle. »Ihr seid Das Auge, seht Ihr? Ihr seid es, der der Königin den Weg weist.«
    Charlotte reckte ihren Hals und sah ein Bild, auf dem zwei Lider, eine geöffnete Pupille und ein Rechteck dargestellt waren.
    »Da brat mir einer einen Storch«, murmelte Boswell. »Das Symbol könnte man mit viel Fantasie durchaus als Kamera interpretieren. Aber eine zweitausend Jahre alte Kamera?« Er schüttelte den Kopf.
    »Ihr seid Teil einer uralten Legende«, sagte Yupan. »Das Gedicht – erinnert ihr euch an das Gedicht?« Er wandte sich Charlotte zu. »Ihr wart die Einzige, die unsere Sprache kannte und auch das Gedicht.«
    »Ja, aber doch nur, weil ich –«
    »Glaubt mir«, unterbrach Yupan sie. »All das ist kein Zufall. Es ist so vorherbestimmt.«
    Stille kehrte ein. Charlotte konnte hören, wie der Wind in der Takelage pfiff. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie wusste nicht einmal, ob es ratsam war, überhaupt etwas zu sagen. Es war Humboldt, der das Schweigen brach. »Auf unserer Reise hierher sind wir einem Indianer begegnet«, sagte er. »Sein Name war Capac. Er half uns, als wir in

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