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Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon

Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon

Titel: Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Im schummerigen Licht der Decklampen sahen sie aus wie die Fangarme eines überdimensionalen Kraken. Nur mit dem Unterschied, dass diese hier vollständig aus Metall bestanden. Er konnte sehen, dass die Arme aus einer Unmenge verrosteter und schlecht zusammengeflickter Eisenträger zusammengeschustert waren. Stahlstreben, Schiffskolben, Eisentrossen. Stählerne Spannseile liefen quer darüber und verbanden sie miteinander. Die Gelenke bestanden aus quietschenden Stahlwalzen und Zahnrädern, die die einzelnen Segmente gegeneinanderbewegten. An ihren Spitzen brannten Leuchtfeuer, die einem Leuchtturm zum Verwechseln ähnlich sahen. Wasser rauschte von den verrosteten Gelenken herab und spritzte über die Mannschaft. Ein ohrenbetäubendes Knarren war zu hören, dann krümmten sich die Spitzen und schlugen auf die Planken der Calypso. Holz splitterte und Eisen wurde verbogen. Das Schiff sackte nach Backbord weg. Wasser trat über die Bordwand und schwappte über das Deck. Einige Matrosen wurden von der Flutwelle erfasst und über Bord gespült. Der Norweger sah, wie sie schreiend und zappelnd in der Tiefe verschwanden. Das Meer kochte und brauste, als die stählernen Metallklauen das Forschungsschiff umklammerten und unbarmherzig in die Tiefe zogen. Panisch versuchte der Norweger sich zu retten. Zusammen mit einigen anderen Männern stürzte er durch die Tür, die in die unteren Decks führte. Er war der Letzte und es dauerte eine ganze Weile, bis alle Matrosen hindurch waren. Er hatte es gerade geschafft, als die Calypso zur Seite kippte. Wasser strömte den Treppenschacht hinab und über die panisch fliehenden Männer. Mit schier übermenschlicher Kraft drückte der Norweger die Tür zu. Der Wasserdruck war enorm, aber es gelang ihm. Der Wassereinbruch stoppte. Durch das Bullauge konnte er den Kapitän und seinen Steuermann sehen, die von der Brücke heruntergerannt kamen und schlitternd auf ihn zustürzten. »Öffnen Sie die Tür!«, brüllte der Kapitän. »Lassen Sie uns rein, das ist ein Befehl!« Er schlug gegen das Eisen.
    »Sie sollen uns reinlassen, Sie Idiot! Das ist ein Befehl, haben Sie gehört?« Das Wasser stieg immer höher.
    Wenn er jetzt die Tür öffnete, würde das Schiff binnen Minuten volllaufen. Dieses Risiko durfte er auf keinen Fall eingehen. Wenn er überhaupt eine Chance hatte, dann in irgendeinem luftdicht abgeschlossenen Raum. Der Norweger legte den eisernen Riegel vor. Das Scheppern klang wie ein Todesurteil. Ungerührt wandte er sich um.
    Die Hände gegen die Wände gestützt, taumelte er die Treppe hinunter. Sein Ziel war der Sonarraum, ganz unten im Schiff.
    Das war seine einzige Chance zu überleben.

 
33
     
     
    »Großer Gott, seht nur!«
    Oskar hielt sein Gesicht gegen das Glas gepresst. Seine Haut und seine Finger waren eiskalt. Im trüben Halbdunkel konnte er sehen, wie etwas Gewaltiges aus den oberen Schichten des Ozeans zu ihnen herunterkam. Erst war es noch in weiter Ferne, dann kam es immer näher. Blitze schienen um das Ding herum zu zucken, während es wie ein Wal tiefer und tiefer sank. An einer Seite klebte eine zweite, mindestens ebenso riesenhafte Form. Im Licht des Grabens konnte Oskar einen konisch zulaufenden Körper sowie massige Fangarme erkennen, die um den Leib des ersten Wesens geschlungen waren. Eine geradezu krankhafte Neugier zwang ihn, dem Kampf zuzusehen. Luftblasen stiegen von den beiden Titanen auf, während sie tiefer und tiefer sanken.
    Oskar konnte sich auf all das keinen Reim machen.
    »Was ist das nur?«, flüsterte er.
    Der Schiffsbaumeister atmete schwer. »Die Calypso.«
    »Wie bitte?«
    »Unmöglich.«
    »Das kann nicht sein.«
    »Und ob. Sehen Sie doch hin. Die hochaufragenden Decksaufbauten, der Kran, die geschwungene Brücke, die Ausbuchtung im Schiffsrumpf, dort, wo der Sonarraum ist. Ich erkenne mein Schiff, wenn ich es sehe.«
    »Beim Jupiter, Sie haben recht«, sagte Humboldt. »Die Stromversorgung muss noch aktiv sein. Die Decklampen brennen immer noch.«
    »Das wundert mich nicht«, erwiderte Rimbault. »Die Calypso wurde so konstruiert, dass sie auch bei stärkstem Seegang standhält.«
    Oskar presste die Nase an die Scheibe. »Aber wenn das eine die Calypso ist …«, sagte er leise, »… was ist dann das andere?«
    Humboldts Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Ich fürchte, es ist das Ungeheuer, nach dem wir so lange gesucht haben.«
    »Das …« Oskar war immer noch nicht fähig, das ganze Ausmaß dieser Tragödie zu

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