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Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch

Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch

Titel: Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Geschmack im Mund.
    »Und?« Humboldt blickte sie aufmerksam an.
    Charlotte erforschte den Geschmack. »Irgendwie sauer«, bemerkte sie und griff nach einem Appetithäppchen, um den Geschmack zu neutralisieren. Nachdem sie das Käsegebäck gegessen hatte, versuchte sie es erneut. Doch auch diesmal war das Ergebnis eher unbefriedigend. »Ich weiß nicht«, murmelte sie und schaute auf das Glas. »Ich kann dem irgendwie nichts abgewinnen.«
    »Geht mir auch so.« Der Forscher kippte sein Glas in einem Zug runter. »Ziemlich saure Plörre. Aber vielleicht fällt es uns damit leichter, die unsäglich dummen Gespräche auszublenden. Komm, lass uns in den Hörsaal gehen.«
    Charlotte stellte das Glas zurück und folgte ihrem Onkel.
    Der Hörsaal war bereits gut besetzt. Sie fanden einige Plätze in der vierten Reihe, unweit des Bühnenaufgangs, und ließen sich dort nieder. Charlotte warf einen Blick nach hinten. Wilhelm und seine Gattin saßen, umrahmt von der Leibgarde sowie einigen Mitgliedern des Hofstaats, in der Loge und blickten auf sie herab. Im Licht der Kerzen konnte Charlotte unzählige blank polierte Manschetten, Knöpfe und Ehrenabzeichen schimmern sehen. Federbüsche und Pickelhauben ragten in die Höhe.
    Ihr Onkel hatte ganz recht. Es war eine schrecklich aufgeblasene Veranstaltung. Ein Schaulaufen der Schönen und Mächtigen, bei dem es nur darum ging, beim Kaiser einen möglichst guten Eindruck zu hinterlassen. Mit Forschung und Wissen hatte das alles nur sehr wenig zu tun. Blieb zu hoffen, dass wenigstens der Vortragende an diesem Missstand etwas ändern konnte.
    In eben diesem Moment betrat Richard Bellheim in Begleitung des Direktors und einiger hochrangiger Würdenträger der Universität die Bühne. Er war ein schlanker, ausgezehrt wirkender Mann von vierzig Jahren, dessen Haar bereits schütter und an manchen Stellen leicht ergraut war. Er trug Vollbart und Nickelbrille und unter seinem Arm einen Aktenordner. In einen einfachen braunen Anzug gekleidet, die Ellenbogen mit Lederflicken besetzt und die Schuhe leicht angestoßen, bot er einen wohltuenden Gegensatz zu all den feinen und herausgeputzten Herrschaften im Publikum. Als er zu sprechen begann, war seine Stimme tief und wohlklingend.
    Charlotte lehnte sich zurück. Sie faltete die Hände und lauschte mit wachsender Begeisterung den Erzählungen vom Schwarzen Kontinent.

 
6
     
     
    Zwei Stunden später war der Vortrag zu Ende. Der Völkerkundler bedankte sich, signierte Bücher und Reiseberichte und verschwand dann mit den Kuratoren der neu eröffneten Afrikaausstellung hinter dem Podium. Bellheim hatte seinen Schwerpunkt auf Völker und Kulturen anstatt auf Kolonialpolitik gelegt. Humboldts Sorgen waren also unbegründet gewesen. Im Publikum herrschte Aufbruchsstimmung. Der Kaiser und die Kaiserin waren bereits in Richtung Kutsche aufgebrochen und so bestand für die meisten Anwesenden kein Grund, noch länger zu verweilen. Charlotte und Humboldt warteten, bis die Zahl der Besucher auf ein erträgliches Maß gesunken war, dann standen sie auf und gingen dorthin, wohin Bellheim verschwunden war.
    Ein Saaldiener versperrte ihnen den Weg.
    »Sie wünschen?«
    Humboldt überragte den Mann um etwa eine Handbreit.
    »Ich möchte mit Professor Bellheim sprechen«, erwiderte er. »Ich würde ihm gerne meine Glückwünsche und Komplimente zu dem gelungenen Vortrag übermitteln.«
    Der Diener schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, mein Herr, aber ich habe strikte Anweisungen, niemanden durchzulassen.«
    »Bei Herrn Humboldt dürfen Sie eine Ausnahme machen«, ertönte eine Stimme von links. Eine blasse Dame in einem rosafarbenen Kleid und weißen Schuhen trat auf sie zu und reichte dem Forscher die Hand. »Mein Name ist Gertrud Bellheim.«
    »Dann haben wir Ihnen also die Einladung zu verdanken, gnädige Frau?«
    »Ganz recht. Ich hoffe, Sie fanden den Vortrag interessant.«
    »Außergewöhnlich interessant.« Humboldt deutete einen Handkuss an. »Dies ist meine Nichte Charlotte.«
    »Wie reizend. Interessieren Sie sich für Afrika, meine Liebe?«
    »Nicht nur für Afrika«, erwiderte Charlotte. »Ich interessiere mich für alle Naturwissenschaften. Physik, Chemie, Biologie, Geografie. Es ist eine so aufregende Welt.«
    »Ich sehe schon, Herr von Humboldt, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.« Sie schenkte Charlotte ein warmherziges Lächeln.
    »Haben Sie Lust, meinem Mann einen Besuch abzustatten? Ich könnte mir vorstellen, dass Sie ihn gern

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