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Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels

Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels

Titel: Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Festungstürme, etwa dreißig Meter über dem Boden. Die Steine waren roh behauen und grob zusammengefügt. Unmöglich, daran hinunterzuklettern. Unten konnte sie einen Hof erkennen, auf dem etliche Echsenwesen in einem Pferch zusammenstanden. Vermutlich Reittiere. Das Fauchen und der Gestank drangen bis zu ihr herauf. Zwei Wachen warfen den Tieren Fleisch zu. Dahinter bereitete sich eine wüste Landschaft aus. Kein Gras, kein Baum, kein Strauch, nur Steine, Sand und schwarze Felsbrocken. Wie sehr sie sich nach etwas Farbe sehnte. Nach grünen Wiesen, blauem Himmel und weißen Wolken. Stattdessen gab es hier nur rotes Glühen, Hitze und Dunst. Inmitten dieser Eintönigkeit war ihr jedes Zeitgefühl abhandengekommen. Wie lange mochte sie geschlafen haben? Vier Stunden, fünf – einen ganzen Tag? Und was war das überhaupt für eine Sonne, die niemals unterging?
    Sie fühlte sich so grenzenlos leer und verlassen, dass ihr die Tränen kamen. Aussichtslos, darauf zu hoffen, dass Humboldt und die anderen sie noch holen kamen. Vermutlich hatten sie längst ihre Spur verloren – vorausgesetzt, sie hatten je eine Spur gehabt. Was wollten diese Kreaturen von ihr? Warum dieser Hass auf die Menschen? Auf ihrem Weg hier hinauf hatte sie Dutzende Sklaven gesehen, die niedere Dienste verrichten mussten. Männer, Frauen und Kinder. Ihnen allen stand die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Alle schienen von dem Wunsch beseelt, dass dieser Spuk irgendwann enden möge.
    Sie war gerade dabei sich vorzustellen, wie es wohl wäre, ein Vogel zu sein und einfach davonzufliegen, als sie einen keuchenden Laut vernahm. Sie drehte sich um. Ein Steinerner stand an der Tür. Wie konnten sich diese Biester so leise bewegen? Und woher wussten sie, dass sie wach geworden war?
    Mit Handzeichen signalisierte er ihr, dass sie mitkommen solle.
    Der Herrscher erwartete sie bereits. Vor seinem Thron lag ein eckiger Steinblock. »Setz dich.« Er deutete mit seinem langen, schrumpeligen Finger darauf. »Wir müssen reden.«
    Sie nickte, wobei sie den Augenkontakt vermied.
    »Du bist nicht wie die anderen«, sagte das Wesen. »Deine Ankunft wurde mir vor einigen Tagen von unserem Beobachter angekündigt. Er berichtete, er habe ein fliegendes Schiff im Himmel gesehen.«
    »Das stimmt.«
    »Erzähl mir: Woher kommst du?«
    Sie konnte sich irren, aber klang seine Stimme sanfter als beim letzten Mal?
    »Meine Freunde und ich, wir kommen von der anderen Seite der Welt«, begann sie. »Wir haben Berge und Meere überquert, weil uns ein Hilferuf erreichte und weil es unsere Aufgabe ist, solchen Hilferufen nachzugehen.«
    »Seid ihr Götter, dass ihr wie Vögel die Lüfte durchkreuzen könnt?«
    »Götter, nein – Wissenschaftler. Unser Ziel ist es, die Wahrheit herauszufinden.«
    »Die Wahrheit.« Der Herrscher stieß ein trockenes Lachen aus. Er verzog seine Lippen, dass die braunen Zähne darunter zum Vorschein kamen. »Wer kann schon sagen, was Wahrheit ist und was Legende? Wer erinnert sich noch, was auf dieser Insel vor so vielen Zeitaltern geschehen ist?«
    »Wir«, sagte Lena und erschrak im selben Moment über ihre Kühnheit. Eigentlich hatte sie sich geschworen zu schweigen, aber irgendwie hatte sie Vertrauen zu diesem Wesen gefasst. Wenn sie mehr Informationen wollte, musste sie ihm entgegenkommen.
    »Wir haben eine Geschichte gehört«, sagte sie. »Die Legende von den zwei Inseln.«
    Die Kreatur hob die Augenbrauen. »Du weißt davon?«
    Lena nickte.
    »Wie kann das sein?« Die Augen des Herrschers bohrten sich in die ihren.
    Lena befiel ein mulmiges Gefühl.
    »Ein Junge berichtete uns davon«, sagte sie. »Die Menschen versuchen sich zu erklären, warum die Erde auf Java bebt und warum die Berge Feuer spucken. Sie lieben ihre Insel, aber sie fürchten sich vor ihr. Natürlich versteht es niemand so recht, aber tief im Kern spüren sie, dass die Legende wahr ist. Seit ihr damit begonnen habt, die Dörfer mit Angst und Schrecken zu überziehen, hat sich dieses Gefühl noch verstärkt.« Sie zögerte einen kurzen Moment, dann sprach sie einen Verdacht aus, der schon seit einiger Zeit in ihrem Kopf herumspukte. »Seid ihr die Anak?«
    »Das sind wir.«
    »Aber warum tut ihr so viel Böses? Warum raubt und plündert ihr und warum nehmt ihre diese Menschen als Sklaven?«
    Der Herrscher erhob sich zu seiner vollen Größe. »Wir sind der Schrecken dieser Insel. Der Terror ist der Preis für das, was uns angetan wurde. Die Menschen vergessen so leicht.

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