Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels
Selbstmord gleich. Die Steinernen sind gute Kämpfer, auch wenn mir schleierhaft ist, gegen wen sie eigentlich zu Felde ziehen wollen. Diese Welt gehört ohnehin ihnen und außer den Sandhaien scheint es keine natürlichen Feinde zu geben.« Er schlug die Hände auf die Schenkel. »Sei’s drum. Ich werde mich stellen und einen Austausch vorschlagen. Etwas anderes bleibt uns wohl kaum übrig.«
»Warte.« Eliza legte sanft ihre Hand auf seine Schulter. »Ich würde gerne noch eine letzte Möglichkeit ausprobieren. Oskar und ich haben vorhin darüber gesprochen und er meinte, er wolle es versuchen. Voraussetzung ist allerdings, dass wir wissen, wo Lena gefangen gehalten wird.«
»Was versuchen? Wovon sprecht ihr?«
»Das erzählen wir dir lieber später. Im Moment benötige ich nur eines: absolute Ruhe. Ich muss mit Lena Kontakt aufnehmen und dabei darf ich nicht unterbrochen werden. Gibt es irgendetwas, was von ihr stammt und das ihr lieb und teuer ist?«
»Ja, hier.« Charlotte holte etwas aus ihrer Tasche. »Die Haarspange. Ich habe sie für sie aufbewahrt.« Sie zog das Schmuckstück heraus, das Lena im Kaufhaus erworben hatte.
Eliza blickte zufrieden. »Sehr gut«, sagte sie. »Das dürfte genügen. Ich werde mich dort drüben auf den Stein setzen und bitte euch, mich in den nächsten zehn Minuten nicht zu stören.«
Oskar beobachtete, wie Eliza einen hohen Stein erklomm, ihre Tasche mit Heilkräutern und Tinkturen vor sich ausbreitete und damit begann, einige Substanzen zusammenzumischen.
»Was tut sie denn da?«, fragte Lilienkron.
»Ich glaube, sie bereitet eine Seelenwanderung vor«, erläuterte Oskar. »In ihrem Heimatland Haiti ist es eine gängige Methode, um mit den Verstorbenen zu sprechen. Es funktioniert aber auch bei den Lebenden. Voraussetzung ist allerdings, dass niemand den Wanderer anspricht. Wenn man bei der Prozedur gestört wird, kann das schwerwiegende Folgen haben.«
»Zum Beispiel?«
»Elizas Seele könnte sich verirren und nicht mehr in ihren Körper zurückfinden. Menschen, denen das passiert, werden zu leeren Hüllen – zu Untoten oder Zombies, wie diese Wesen in Haiti genannt werden.«
Lilienkron verzog das Gesicht. »Klingt ja schauerlich. Dann wäre es vielleicht besser, wenn ich jetzt meinen Mund halte.«
Eliza hatte ihre Vorbereitungen beendet und die Schale mit Kräutern in Brand gesetzt. Intensiver Rauch stieg auf. Selbst auf die Entfernung trieb es Oskar die Tränen in die Augen. Eliza setzte sich im Schneidersitz hin, hielt ihr Gesicht genau über die Schale und atmete tief ein.
Lena zuckte zusammen. Irgendetwas wollte von ihr Besitz ergreifen. Es begann mit einem Ziehen im Rücken, arbeitete sich den Nacken empor und wanderte dann hinauf zu ihrem Hinterkopf. Das Gefühl war so überwältigend, dass sie sich abstützen musste.
»Ist etwas nicht in Ordnung?« Der Herrscher richtete seine Augen auf sie. Lena war gerade dabei, ihm von ihrer Heimat im fernen Deutschland zu berichten, als sie eine zweite Welle beinahe von den Füßen fegte.
»Ohhh.«
Sie spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Mit einem Stöhnen sank sie auf die Knie.
»Bist du krank?«
»Ich … ich weiß nicht. Es kam wie aus heiterem Himmel.«
»Ich werde dich in deine Kammer bringen lassen.« Sie fühlte, wie sie gepackt und die Treppen hinaufgebracht wurde. Widerspruchslos ließ sie sich führen.
Was war nur mit ihr los? Ihr Kopf fühlte sich an, als müsse er zerspringen. Einen solchen Anfall hatte sie noch nie erlebt. Natürlich kannte sie Kopfschmerzen, aber dies hier war anders. Es fühlte sich an, als wäre etwas in ihrem Kopf, das da nicht hingehörte. Sie glaubte sogar Stimmen zu hören. Viele Stimmen, die durcheinanderredeten. In ihrem Schädel ging es zu wie in einem Bienenschwarm.
Der Herrscher hatte recht, vermutlich war sie wirklich krank. Vielleicht vertrug sie die seltsamen Speisen nicht, die man ihr vorgesetzt hatte.
Langsam, sich mit einer Hand an der Wand abstützend, wankte sie hinüber zu ihrer Liege. Der Wachposten wartete, bis sie sich hingesetzt hatte, dann schlug er die schwere Steintür zu.
Lena legte sich auf den Rücken und starrte zur Decke. Das Schwindelgefühl wurde weniger. Auch die Übelkeit verflog, wenn auch schleppend. Was blieb, waren Stimmen, die immerfort durcheinanderredeten. Eine der Stimmen kam ihr vertraut vor. Eine Frauenstimme, beinahe so wie die von Eliza. Mal war sie lauter, dann wieder wurde sie von den anderen verdeckt. Lena versuchte,
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