Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels
Steinbruch weitläufig umgehend, hielten sie auf die Steilwand zu. Der Plan war, dem Wall entgegen des Uhrzeigersinns zu folgen und so lange weiterzugehen, bis sie auf die Festung trafen. Nijangs Beschreibung zufolge waren sie Luftlinie nur eine gute Stunde entfernt.
Ein strammer Wind blies ihnen entgegen. Oskar zog sein Taschentuch über den Mund und kniff die Augen zusammen. Der Sand verwischte ihre Spuren. Gut so. Er hatte keine Lust, diesem Jäger noch einmal in die Arme zu laufen.
Es dauerte nicht lang und Oskar keuchte schon wieder wie ein altes Brauereipferd. Er hatte ganz vergessen, wie heiß es hier war. Zum Glück hatten sie genügend Wasser mitgenommen. Zusammen mit den Dingen, die sie für die Verkleidung benötigten, trug jeder von ihnen mindestens fünfzehn Kilo auf dem Buckel. Das Gewicht schnürte ihm in die Schultern. Jeder Schritt ließ ihn im Sand versinken.
»Einen Moment mal«, keuchte er. »Ich muss einen Schluck trinken. Wie wär’s, wenn wir mal unsere Verkleidung ausprobieren? Wäre doch ein guter Zeitpunkt.«
»Erstklassige Idee«, sagte Humboldt. »Lasst uns eine geschützte Stelle suchen und dann nichts wie los. Ich bin schon sehr gespannt auf die Wirkung.«
Die nächsten Minuten waren alle damit beschäftigt, sich bis auf die Unterwäsche auszuziehen und die Verkleidung anzulegen. Alles, was nicht unbedingt nötig war, wurde im Reiserucksack verstaut. Aus Wasser und Staub stellten sie eine rote Paste her, die sie auf Haut und Kleidung schmierten. Dann folgte ein Gemisch aus feinem schwarzem Sand, den sie auf Kleidung und Haaren verteilten. Hemdsärmel wurden abgerissen und zu Wundverbänden umfunktioniert. Oskar trennte seine Hose kurz unter den Knien ab und Lilienkron verzichtete sogar auf seine Mütze. Eliza und Charlotte schmierten Lehm in ihre Haare und verknoteten diese zu dicken Zöpfen. Schon bald waren sie kaum noch von echten Sklaven zu unterscheiden. Dann war Humboldt an der Reihe. Seine Verwandlung war deutlich aufwendiger. Ehe er den aus Pilzrinde geformten Ziegenkopf aufsetzte, wurden zwei verdrehte Wurzeln mittels eines Streifen Stoffs hinterm Kopf verknotet. Dann war die Maske dran. Oskar hatte ein Stück zurechtgeschnitten, das einem Ziegenschädel zum Verwechseln ähnlich sah. Zwei Löcher für die Augen, ein paar Holzstücke für die Zähne und etwas Moos für die Ohren – fertig war das Gesicht. Dann kam der Oberkörper. Auf den Schultern und dem Rücken wurden dicke Moospolster und Flechten mit Nadel und Garn aus Elizas Medizintasche vernäht, dass sie aussahen wie Fell. Um die Hüften und schräg über die Schultern wurden Gürtel und Tragriemen befestigt und mit allerlei Waffen behängt: Messer, Schlingen, Armbrust sowie ein ganzer Satz Pfeile. Am schwierigsten waren die Beine. Humboldt hatte ja keine Hufe, daher beschlossen sie, ihm einen länglichen Rock umzubinden. Diese Art der Kleidung schien bei den Steinernen nicht unüblich zu sein. Sie vertrauten darauf, dass sie damit durchkamen. Natürlich hofften sie alle, dass es zu keiner Begegnung kommen würde, aber sicher war sicher. Und zur Not gab es ja immer noch die Induktionslampen.
Zum Schluss wurde Humboldt so lange mit rotem Lehm, Sand und grauem Staub bearbeitet, bis er kaum noch vom umliegenden Gestein zu unterscheiden war. Oskar drückte ihm noch den Bambusstab in die Hand und trat zurück. Fertig war die Illusion. Die Verkleidung war wirklich gelungen.
Selbst Lilienkron, der ansonsten ein eher spröder Zeitgenosse war, konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
»Wenn Sie sich jetzt sehen könnten, werter Kollege. Sie bieten einen prächtigen Anblick. Man könnte sie glatt in einer Sonderausstellung über Papua-Neuguinea als Ureinwohner präsentieren.«
»Wie schön, dass ich zu Ihrer Erheiterung beitragen kann«, kam die säuerliche Antwort. »Ich möchte Sie mal sehen, wenn Sie unter diesem Kostüm steckten. Es zwickt, es beißt und außerdem rieselt einem andauernd Sand in die Augen. Glauben Sie mir, ich würde es vorziehen, im Lendenschurz herumzulaufen.«
Eliza und Charlotte zwinkerten sich zu. Bei allen löste die Kostümierung große Heiterkeit aus. »Schluss jetzt«, donnerte Humboldt. »Das ist kein Maskenball. Wir haben einen Auftrag, erinnert ihr euch? Wo ist meine Peitsche?«
Oskar drückte seinem Vater die Ranke in die Hand. »Hier«, sagte er. »Aber bitte nicht zu stark zuschlagen. Nicht vergessen, wir sind arme und halb verhungerte Sklaven. Wir halten nicht so viel
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