Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels

Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels

Titel: Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
Vom Netzwerk:
halten können, berührte er mit seinen Fingerspitzen die Oberkante des Simses. Ein zaghaftes Tasten – ja. Der lang ersehnte Mauervorsprung.
    Mit einem unbändigen Willen mobilisierte er seine letzten Kraftreserven. Ein letzter Zug, ein letztes Keuchen, dann war er oben. Er hatte die fürchterliche Wand bezwungen. Schnaufend wie eine Dampfmaschine lehnte er sich dagegen.
    Der Sims maß vielleicht dreißig oder vierzig Zentimeter. Gerade breit genug, um nicht herunterzufallen. Er spürte, dass er am ganzen Körper zitterte. Hätte er gewusst, wie schwierig das werden würde, hätte er vor seinen Freunden nicht so selbstbewusst getan. Diese Wand stellte eine fast unlösbare Aufgabe dar, zumindest für den Rückweg. Niemals würde er Lena so nach unten bringen. Es war immer einfacher, einen Berg hinaufzusteigen, als ihn wieder hinunterzuklettern. Mit jemandem im Schlepptau, der weder trainiert war noch über die nötige Ausrüstung verfügte, ein Ding der Unmöglichkeit.
    Nachdem er sich einigermaßen erholt hatte, setzte er seinen Weg fort. Der Sims war gerade mal so breit, dass man nicht abrutschte. Die Steinplatten waren leicht abgeschrägt und wackelten. Jeder Schritt wollte wohlüberlegt sein. Aber nach dem, was er eben erlebt hatte, war das ein vergleichsweise geringes Hindernis.
    Das erste Fenster zeigte eine leere Kammer mit verschlossener Tür. Sie war so karg wie eine Gefängniszelle, was sie vermutlich auch war. Gitterstäbe waren hier nicht nötig. Wer so lebensmüde war, auf diesen Sims zu klettern, der würde bald feststellen, dass es keinen Weg hinunter gab. Es sei denn, man sprang.
    Oskar schaute hinab und schauderte. Der Boden unter seinen Füßen war so tief, dass es keiner großen Fantasie bedurfte, sich auszumalen, was mit seinem Körper geschehen würde, wenn er dort aufschlug. Andererseits war er nicht so weit entfernt, dass man keine Einzelheiten erkennen konnte. Eimer, Fässer, Kisten, dazwischen Fußspuren von großen und kleinen Kreaturen – all das war mit großer Klarheit zu erkennen.
    Er musste sich gewaltsam von dem Anblick losreißen. Abgründe übten eine hypnotische Anziehungskraft auf ihn aus und er hatte nicht vor, auf den letzten Metern zu scheitern. Er berührte einen wackeligen Abdeckstein und wollte gerade einen großen Schritt darüber machen, als sich das Ding löste und in die Tiefe stürzte. Mehrere Sekunden schwebte es in der Luft, dann zerschmetterte es mit einem ohrenbetäubenden Knall auf den Steinplatten unten im Hof.
    Oskar erstarrte. Auch das noch.
    Er konnte sehen, wie ein paar Krieger von den Echsenställen her angelaufen kamen, um nach dem Grund für den Lärm zu forschen. Direkt unterhalb seiner Position blieben sie stehen. Sie begutachteten die zerplatzte Steinplatte und spähten dann zu ihm hinauf. Weitere Wachen kamen hinzu. Oskar war wie zur Salzsäule erstarrt. Die Teufelsmenschen deuteten zu ihm hoch und gestikulierten dabei mit den Händen. Ihre knurrenden Laute drangen bis zu ihm hinauf.
    Bitte, lieber Gott, mach, dass sie mich nicht sehen.
    Nicht so kurz vor dem Ziel.
    Die Minuten zogen sich in die Länge. Endlich zerstreuten sich die Wesen wieder und kehrten zu ihrer Arbeit zurück.
    Oskar stand immer noch da und sah, wie sie wieder ihrer Arbeit nachgingen. War es möglich, dass sie ihn nicht gesehen hatten? Aber sie hatten doch genau zu ihm hinaufgeschaut. Der Tarnanzug war wirklich grandios.
    Vorsichtig setzte er seinen Weg fort. Er wusste: Eine zweite Unachtsamkeit und er wäre endgültig geliefert. Die Wesen mochten ihn nicht gesehen haben, aber dumm waren sie nicht.
    Auch die nächste Kammer war leer. Oskar hielt sich nicht lange auf und ging weiter. Jetzt kam die Öffnung, in der er meinte, das Laken gesehen zu haben. Bei all den Fenstern, Schächten und Öffnungen in diesem Bauwerk konnte er nicht hundertprozentig sicher sein, aber es war seine einzige Chance. Er hatte nicht die Zeit und die Reserven, um an der gesamten Fassade entlangzuklettern und überall hineinzuschauen.
    Er stellte sich auf die Zehenspitzen und lugte hinein. Sein Herz schlug wie wild. Der Raum war dunkel, genau wie die anderen. Einige Gegenstände befanden sich in der Kammer. Ein Tisch, ein Stuhl und ein Bett. Plötzlich sah er es: ein Bett mit einem hellen Laken. Und darauf lag Lena. Am liebsten hätte er einen Freudenschrei ausgestoßen, so glücklich war er. Doch das ließ er lieber bleiben.
    Er packte das Fensterbrett und zog sich hinein.

 
43
     
     
    Lena träumte,

Weitere Kostenlose Bücher