Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels
ab.«
»Oh, nur keine Umstände.« Charlotte legte den Packen auf einen Stuhl. »Bin schon wieder weg.«
Mit diesen Worten machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ das Zimmer. Die Tür knallte ins Schloss wie ein Pistolenschuss.
»Na wunderbar«, murmelte Oskar, »ist ja mal wieder toll gelaufen.«
»Ich glaube, ich werde dann auch mal wieder gehen«, sagte Lena leise. »Wir sehen uns.«
Oskar begleitete sie nach draußen, wartete, bis sie im Flur stand, und machte dann die Tür zu. Mit dem Rücken dagegengelehnt, musste er erst mal tief durchatmen. Eines schwor er sich: Lena würde auf keinen Fall mit auf diese Reise gehen.
Fernab, auf der anderen Seite der Welt, lief eine Reihe Erschütterungen durch die tieferen Erdschichten. Feinste Stöße, minimale Kräuselungen des Erdmantels. Viel zu tief, um an der Oberfläche von irgendjemandem bemerkt zu werden.
Der Herrscher in seiner Halle aus Stein öffnete seine Augen. Lange Zeit hatte er geschlafen. Er hatte von dem blauen Himmel geträumt, von Wolken und dem Meer. Die Erinnerung daran war schon beinahe verblasst, doch plötzlich war sie wieder da. Wie lange hatte er geschlafen, hundert Jahre, zweihundert? Viel zu lang jedenfalls. Der Traum hatte ihn geweckt. Langsam hob er den Kopf, drehte ihn von einer Seite zur anderen. Gestein rieselte aus seinem Nacken. Er war alt geworden. Alt und grau. Doch der Traum hatte ihm neues Leben eingehaucht. War es überhaupt ein Traum gewesen? Vielleicht hatte er die Erschütterungen wirklich gespürt. Vielleicht waren sie ein Zeichen, dass die Zeit der tausendjährigen Verdammnis endlich zu Ende ging. Nachdenklich kratzte er mit seinen Fingernägeln über die Armlehne seines Throns. Er würde seinen obersten Wahrsager befragen. Der würde ihm Rat geben. Doch nicht gleich. Erst wollte er noch die wunderbaren Erinnerungen auskosten, die ihm sein Traum beschert hatte. Erinnerungen an eine Zeit des Lichts und des Sonnenscheins.
8
Es war früh am Morgen des 22. März, als die Pachacútec in den blauen Himmel aufstieg. Frisch gewartet und mit allem Proviant beladen, der für eine so lange Reise nötig war, konnte man spüren, wie sehr das Luftschiff darauf drängte, in die Höhe zu steigen. Ein frischer Nordostwind pfiff in der Takelage und die hölzernen Streben knarrten erwartungsvoll, während das Schiff sich immer weiter vom Boden entfernte.
Zahlreiche Schaulustige hatten sich versammelt und winkten ihnen von unten her zu. Die riesige Scheune, in der die Pachacútec während der Wintermonate gelagert hatte, war mittlerweile zu einem richtigen Publikumsmagneten geworden. Besonders an Wochenenden strömten die Familien hierher nach Spandau, um einen Blick auf Humboldts berühmtes Forschungsschiff zu werfen. Das Interesse war so groß, dass extra ein paar Männer eingestellt werden mussten, um das wertvolle Luftfahrzeug zu bewachen. Oskar hatte vorgeschlagen, man könne ja Eintritt verlangen und damit ihre Haushaltskasse aufbessern, aber davon wollte der Forscher nichts wissen. Forschung solle für jedermann zugänglich sein, so sein Motto. Bildung dürfe nichts kosten, sondern müsse für alle erschwinglich sein. Dabei hätte man bestimmt gut daran verdienen können. Luftschiffe lagen gerade voll im Trend, auch wenn es bislang kaum irgendwo eines zu sehen gab. Die Zeitschriften aber waren voll davon und es gab einige Erfinder – unter ihnen Ferdinand von Zeppelin –, die emsig dabei waren, Humboldts Konzepte umzusetzen. Die Zeitungen berichteten regelmäßig über die neuen Errungenschaften und druckten Baupläne und Zeichnungen ab. Für alle war klar, dass es nur noch eine Frage der Zeit sein würde, bis Deutschland den Luftraum erobern würde. Und so wurde ihre Abreise von vielen Dutzend neugieriger Augenpaare verfolgt, von denen manche – besonders die der Kinder – groß wie Murmeln waren.
Oskar hatte keine Zeit zum Winken. Er war damit beschäftigt, die Motoren zu überwachen. Er musste die Stromleistung im Auge behalten und dafür sorgen, dass Achsen, Wellen und Getriebe einwandfrei arbeiteten. Die Startphase, wenn die Propeller zum ersten Mal seit langer Zeit wieder auf Hochtouren liefen, war immer der heikelste Teil der Reise. Altes Öl konnte verharzen und die Achsen blockieren. Drähte konnten überhitzen und Kabel durchschmoren, was bei den empfindlichen Elektromotoren sofort zu einem Totalausfall geführt hätte. Deswegen musste am Anfang gewissenhaft nachgeschmiert und überschüssiges
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