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Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels

Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels

Titel: Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Kilometer und war in die Hänge des Hügels hineingebaut worden. Zwischen den Bäumen ragten Dutzende kleiner und großer Spitzdächer in die Höhe, zwischen denen die Luft flimmerte.
    »Kommt mal her und schaut euch das an«, sagte er. »Ich hatte keine Ahnung, dass der Palast so groß ist.«
    Staunend scharten sich die anderen um ihn.
    »Seine Erbauer nannten ihn Tengah«, sagte Dimal. »Er wurde im neunten Jahrhundert von Hindus erbaut und ist der größte Tempel seiner Art. Wie ihr seht, befinden sich rund um die Terrasse noch weitere Tempel. Insgesamt einhundertsechsundfünfzig, die mein Vater für alle möglichen Zwecke benötigt. Als Badehäuser, Küchen, Ställe, Lagerräume oder Gästehäuser. Das größte und wichtigste Bauwerk ist der Loro Jonggrang, der eigentliche Palast. Er ist dem Gott Shiva geweiht. An der Innenwand der Balustrade findet ihr die Legende des Rama, dargestellt in zweiundvierzig Szenen.«
    »Wieso haben deine Vorfahren einen Hindu-Tempel als Wohnsitz ausgewählt?«, fragte Lena. »Hatten sie einen besonderen Bezug zu dieser Religion?«
    »Meine Ahnen sind Hindus. Alle Könige von Sumatra und Java waren das. Abgesehen von den Naturreligionen ist der Hinduismus die älteste Religion auf Sumatra und Java. Es gab sie lange vor dem Buddhismus, dem Islam und dem Christentum.«
    »Was wurde denn aus den Naturreligionen, die vorher hier existierten?«, fragte Humboldt. »Gibt es von denen noch welche?«
    »Nur in entlegenen Bergregionen. Die großen Religionen haben sie so gut wie ausgelöscht.« Er zögerte. »Habt ihr je von der Legende der zwei Inseln gehört?«
    Keiner der Reisenden schien die Geschichte zu kennen.
    »Vor tausend Jahren gab es nur zwei Völker auf den Sunda-Inseln. Das eine waren die Anak, was übersetzt so viel wie ›die Kinder‹ bedeutet. Sie lebten auf Java und waren friedliche Bauern. Sie säten und ernteten, beteten zu ihren Naturgöttern und wurden von diesen mit Frieden und Wohlstand belohnt. Das andere waren die Tunggal drüben auf Sumatra. Die Tunggal waren ein kriegerisches Volk und lebten unter der Führung ihres Königs Sukarno. Sie waren in mehrere Stämme zerstritten und führten ständig untereinander Krieg. Sukarno war sehr reich und mächtig, doch gegen die Kampfeslust seiner Häuptlinge war er machtlos. Da er schlau und verschlagen war, überlegte er, wie er seine Macht festigen könne. Solange die Tunggal untereinander Krieg führten, würde aus ihnen nie eine mächtige Nation werden.
    Eine Idee entstand und er entwickelte einen Plan. Er wollte seinen Stammesfürsten weit auseinanderliegende Ländereien schenken und sie so zu treuen Vasallen machen. Da das Land auf Sumatra aber bereits verteilt war, beschloss er, den friedlichen Anak ihre Insel abspenstig zu machen. Er setzte das Gerücht in die Welt, dass einzig Gold wirklich glücklich mache und dass nur ein Mann, der viel von dem wundersamen Metall besitze, ein guter Mann sei. Die leichtgläubigen Anak unter der Führung ihres Königs Lamarok fielen auf den Trick herein und begannen ihre Tiere und Ländereien gegen Gold zu tauschen. Sukarno gab einen Großteil seines gesamten Staatsschatzes aus, aber am Schluss gehörte ihm die Insel. Die Anak wussten nicht mehr, wohin sie sollten, und sammelten sich im Süden unweit der Stelle, an der wir jetzt stehen.« Er deutete hinüber in Richtung des Bromo. »Verzweifelt, orientierungslos und desillusioniert wie sie waren, war es ein Leichtes für Sukarno, sie zu unterwerfen, sie zusammenzutreiben und ihnen das Gold wieder abzunehmen. Dann trieb er sie die Flanken des Bromo hinauf und zwang sie, sich in die dunklen Tiefen zu stürzen. Lamarok fiel als Letzter.
    Diese Tat erboste den Gott der Erde so sehr, dass er Feuer und Rauch spie. Flammensäulen wuchsen aus dem Boden und die Erde bebte. Sukarno wurde von einem herabfallenden Felsbrocken erschlagen. Sein Sohn aber lebte und führte das Erbe seines Vaters weiter. Als Zeichen seiner Königswürde bezog er diesen Tempel, wählte ihn als Stammsitz seiner Dynastie. Das Land übergab er den Stammesfürsten und ließ sie mit ihrem Blut einen Eid auf immerwährende Treue schließen.
    Die Erde aber kam nicht zur Ruhe. Es hieß, der Gott der Tiefe habe Erbarmen mit den Anak gehabt und ihnen ein neues Leben geschenkt, tief unten in der Erde. Um zu überleben, mussten sie ihre Gestalt ändern. Sie wurden zu Wesen der Unterwelt, mit schuppiger Haut und Hörnern auf dem Kopf. Die Legende von den Steinernen war geboren.

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