Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels
Miene hinterher.
Vom Dach seines Palastgebäudes aus richtete König Bhamban sein Fernrohr auf den Schatztempel. Im Schatten des mächtigen Gebäudes konnte er mehrere Personen sehen, die dort herumstromerten. Was hatten die Fremden dort zu suchen? Hatte er Dimal nicht verboten, diesen Bereich zu betreten? Aber der Junge war noch nie besonders folgsam gewesen. Er kannte nicht mal die Hälfte aller Geschichten, die sich um diesen Tempel rankten. Wie sollte er auch, schließlich war er ja nicht mal in der Lage, die Bildsprache seiner Vorfahren richtig zu deuten. Er war zu lange im Ausland gewesen, hatte zu viele fremde Gedanken angenommen. Doch er war nun mal sein einziger Sohn. Irgendwann würde er König werden und dann würde Bhamban ihm die Wahrheit erzählen müssen. Doch bis dahin bedurfte es noch einiger Vorbereitung.
Die Ankunft der Fremden war wie ein Zeichen des Himmels. Zuerst war er ja skeptisch gewesen, doch dann war ihm eine Idee gekommen. Er kannte diesen Menschenschlag. Wissenschaftler, die es als ihre Berufung verstanden, ihre Nase in Dinge hineinzustecken, die sie nichts angingen. Ein Rauswurf hätte diesen Humboldt nur noch neugieriger gemacht. Er hätte Poortvliet Bericht erstattet und der hätte dann vermutlich Soldaten geschickt, die alles noch komplizierter machten. Nein, er musste schlauer sein. Er musste dem Forscher geben, wonach er begehrte, und ihn dann ausschalten. Vielleicht würde Dimal daraus ja etwas lernen.
Dass Dimal und er so unterschiedlich waren, hatte ihn schon zweifeln lassen, ob er wirklich sein leiblicher Vater war. Aber er brauchte einen Thronerben. Zweiundzwanzig Töchter und nur ein Sohn, das war, als hätten sich die Götter einen Scherz mit ihm erlaubt. Doch wer war er, dass er sich von so etwas aus dem Konzept bringen ließ? Am Ende würde er triumphieren.
Sollten diese Fremden also ruhig ein bisschen herumstöbern, irgendwann würden sie einen Fehler begehen. Und dann würde die Falle zuschnappen. Dann konnte er sie unter Arrest stellen und mit ihnen verfahren, wie er wollte. Die ganze Sache war beendet, ehe sie noch richtig begonnen hatte. Und was die Steinernen betraf – nun, mit denen würde er sich anschließend beschäftigen. Eins nach dem anderen, wie sein weiser Vater immer zu sagen pflegte. Eins nach dem anderen.
21
Am folgenden Morgen …
Ihre Reise in den Süden begann kurz vor Sonnenaufgang. Während tief unten in den Tälern noch die Nacht regierte, war auf den Kuppen der Berge bereits ein sanftes Rosa zu sehen. Erste Vögel regten sich in den Zweigen der Bäume und hin und wieder erklang ein Zwitschern oder Krächzen.
Pünktlich um sechs setzte sich die Karawane in Bewegung. Begleitet wurden sie von zwei Elefantentreibern, die dafür sorgten, dass alles reibungslos ablief und die beiden Elefantendamen gehorsam blieben. Der Prinz saß vorne bei Oskar und winkte seinen Untergebenen fröhlich zu. Nur wenige Hausangestellte hatten sich zum Abschied versammelt und auch der König ließ sich nicht blicken. Vermutlich war er froh, die ungebetenen Gäste endlich los zu sein. Lieder wurden angestimmt und Fahnen geschwenkt, dann durchquerten die Elefanten das Hoftor und folgten einer schmalen Straße hinauf in das unwegsame Hügelland. Schon bald war der Palast in der Ferne verschwunden.
Oskar atmete die kühle Luft ein. Er fühlte sich so befreit wie schon lange nicht mehr. Er brauchte den Nervenkitzel, das Abenteuer. Langes Warten war einfach nicht sein Ding. Möglicherweise hing das Gefühl aber auch damit zusammen, dass er mit Humboldt und Eliza ritt, während Charlotte, Lena und Lilienkron auf dem anderen Elefanten unterwegs waren. Nicht, dass ihm die Anwesenheit der beiden Mädchen unangenehm gewesen wäre, aber heute war er froh, dass sie ihm nicht allzu dicht auf der Pelle hockten.
Die Stunden vergingen. Dimal war ein angenehmer Reisebegleiter. Er erzählte über das Land und seine Bewohner und seine Geschichten waren voll von lustigen kleinen Begebenheiten. Für einen Prinzen war er erstaunlich normal. Oskar hatte immer mit dem Vorurteil gelebt, dass Kinder aus reichen Familien hochnäsig und eingebildet waren, doch auf Dimal traf das nicht zu. Wäre er nicht in diese seltsamen Gewänder gekleidet, er hätte ebenso gut ein Kumpel aus Berliner Straßenkindertagen sein können. Oskars Blick fiel auf einen Käfig, in dem zwei weiße Tauben saßen.
»Warum hast du die Vögel dabei?«, erkundigte er sich. »Ist das eine
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