Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels
König?« Oskar runzelte die Stirn. »Wie soll er denn von dem Überfall erfahren haben? Kein Bote ist so schnell …?« Er sah den Prinzen an. Beide schienen in diesem Augenblick das Gleiche zu denken.
»Die Tauben …«
Ein Blick reichte aus, um seine Vermutung zu bestätigen. Einer der Käfige war leer. Von ihrem Elefantentreiber fehlte jede Spur.
25
Mit sorgenvollem Blick erwartete Oskar das Herannahen der Elefanten. Der vordere musste ein Bulle sein. Ein Prachtexemplar, mit einer Schulterhöhe von knapp vier Metern. Wie viel mochte ein solcher Koloss wohl wiegen, viertausend Kilo oder fünftausend? Sein Kopf war fast gänzlich von einem goldenen Helm bedeckt, aus dem nur seine beiden Augen hervorschauten. Die Schulterplatten waren mit aufwendigen Verzierungen bedeckt und der Rückenaufbau wirkte, als hätten mehrere Künstler ein Jahr daran gearbeitet. Ein Ehrfurcht gebietender Anblick.
Die Elefanten erreichten den Dorfplatz und gingen auf Befehl ihrer Treiber in die Knie. Die Dorfbevölkerung wich ehrfurchtsvoll zur Seite. König Bhamban ließ sich von Mitgliedern seiner Leibgarde aus dem Sitz helfen. Eine ungeheure Anstrengung, selbst für solch kräftige Männer wie die Palastwachen. Vier Mann waren nötig, um den Monarchen sicher auf die Füße zu stellen. Als er endlich unten war, keuchten sie vor Anstrengung.
Bhamban ging ein paar Meter auf die Leute zu, dann hob er die Arme. »Volk von Porong. Ich bin euer König.«
Die Tengger murmelten leise, dann sanken sie zu Boden. Bhamban wartete eine ganze Weile, dann fuhr er mit erhobener Stimme fort: »Ich habe Kunde von dem Angriff letzte Nacht bekommen und bin gekommen, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Viele werden sich fragen, wie ich so schnell davon erfahren konnte, aber das braucht euch nicht zu beunruhigen. Ich bin euer König und oberster Priester. Ich sehe alles und ich weiß alles. Meine Boten haben ihre Augen und Ohren überall.«
»So ein Aufschneider«, flüsterte Oskar.
Es war ein Taschenspielertrick, den der König hier vollführte. Allerdings tat er das sehr überzeugend. Oskar beobachtete, wie die Palastwache unauffällig einen Kreis um das Zentrum des Dorfes zog.
»Volk von Porong«, fuhr der Monarch fort. »Ich komme mit schlechten Nachrichten. Ohne es zu wissen, habt ihr dem Feind Unterschlupf gewährt. Fremden, die keinen Respekt vor unseren Traditionen und unseren Ahnen haben und die nur gekommen sind, uns unser Land wegzunehmen.« Mit einer dramatischen Geste deutete er auf die fünf Abenteurer.
»Sie kamen mit dem Versprechen, uns zu helfen, doch in Wirklichkeit verfolgen sie nur die Interessen der Eroberer. Ich war so dumm, ihnen zu glauben, doch jetzt kenne ich ihre wahren Absichten.«
»Wovon redet der denn da?«, flüsterte Charlotte.
Oskar war viel zu sprachlos, um etwas darauf zu entgegnen. Auch die anderen – allen voran Dimal – waren starr vor Entsetzen.
»Die Niederländer sind vom anderen Ende der Welt gekommen und wollen uns aus unserem eigenen Land vertreiben. Sie wollen unsere schöne Insel für sich behalten und das Land ausbeuten. Damit haben sie den Zorn der Steinernen beschworen. Ein Fluch, der uns viele Jahre verschont hat und der nun wieder ausgebrochen ist. Und schlimmer als zuvor. Zufall, sagt ihr? Ich glaube nicht an Zufälle. Ich glaube, dass diese Ausländer schuld am Ausbruch dieser Plage sind.«
»Das ist doch …« Humboldt griff zu seinem Stock, doch Dimal hielt ihn im letzten Moment zurück. »Bitte nicht.« In seinen Augen lag etwas Flehendes.
Humboldt ließ seine Hand sinken.
»Die Niederländer mit ihren Gewehren und Kanonen, sie sind die Ursache allen Übels«, fuhr Bhamban fort. »Sie haben keinen Respekt vor den Göttern, sie verspotten unsere Traditionen. Sie lassen ausländisches Volk in unser Land: Chinesen, Inder, Araber. Unsere Hafenstädte gleichen riesigen Bordellen. Mit ihren Ausschweifungen haben sie den uralten Fluch wieder zum Leben erweckt.« Er schritt vor den Dörflern auf und ab. Mittlerweile war das ganze Dorf versammelt. Oskar zählte im Geiste hundertfünfzig Menschen, die alle wie gebannt an den Lippen ihres Königs hingen. Viele Bauern klatschten, einige bekundeten ihre Zustimmung durch Zwischenrufe.
»Mich hat man in meinen Tempel verbannt und mir alle Macht genommen«, schrie der König. »Aber ich habe immer noch meine Stimme und ich sage: Raus mit ihnen! Schicken wir diese Fremden über das Meer, von wo sie hergekommen sind, und nehmen uns unser
Weitere Kostenlose Bücher