Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels
Irgendetwas muss sie mächtig in Aufregung versetzt haben. Mein Sohn war unter ihnen.«
»Dimal? Nicht möglich.«
»Wenn ich es dir doch sage. Ich sah ihn so wirklich, wie ich dich jetzt sehe. Er trug dieselben Sachen wie zu dem Zeitpunkt, als ich ihn zuletzt gesehen habe.«
»Aber warum waren die Menschen in Panik? Was haben sie gesehen?«
»Die Steinernen.«
Der Diener riss die Augen auf. »Habt Ihr sie auch gesehen?«
»Nein, aber ich konnte ihre Anwesenheit spüren. Diese Wut, dieser Hass. Es war … fantastisch!«
»Euer Majestät?« Der Diener blickte den König verwirrt an.
»Ja, verstehst du denn nicht?« Bhamban sprang auf und schlang den Sarong um seinen Leib. »Es war ein Zeichen. Der Augenblick, auf den ich so lange gewartet habe, ist gekommen. Wir müssen aufbrechen.«
»Aber … Herr.« Der Diener schüttelte den Kopf. Seinem Ausdruck war zu entnehmen, dass er seinen Herrn für übergeschnappt hielt. »Ihr wollt losreiten? Aber es ist mitten in der Nacht.«
»Natürlich ist es das, du Hornochse. Aber wir haben auch einen mehrstündigen Ritt vor uns. Alles hängt davon ab, dass wir zur rechten Zeit am rechten Ort sind.« In seinen Augen loderte das Feuer. Er fühlte sich so lebendig wie nie zuvor.
»Wenn alles so verläuft, wie ich es geplant habe, dann werden wir morgen unser großes Werk beginnen können. Komm schon, weck alle auf. Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
In diesem Moment ertönte ein Flattern. Bhamban und sein Diener blickten zum Fenster. Eine weiße Taube saß in der Öffnung und putzte gurrend ihr Gefieder. Eine Brieftaube. An ihrem Fuß hing eine Nachricht. Bhamban ging zu ihr und löste den Knoten. Ein zusammengerollter Zettel fiel in seine Hand. Mit zusammengezogenen Brauen überflog er den Inhalt. Das war es. Das war der Beweis. Wortlos reichte er den Zettel seinem Diener.
Als dieser ihn gelesen hatte, nickte er. »Ihr hattet recht, Euer Majestät. Gepriesen sei Eure Weisheit. Ich werde sofort alles Nötige veranlassen.«
24
»Oskar?«
Die Stimme kam von weit her. Oskar spürte, wie jemand seine Wange tätschelte. »Komm schon, öffne deine Augen.«
»Ich glaube, seine Lider bewegen sich.«
»Reicht mir mal die Feldflasche.«
Kalte Flüssigkeit plätscherte auf seine Stirn, lief seitlich seinen Hals hinunter.
Er schlug die Augen auf.
Über ihm ragte die dunkle Erscheinung seines Vaters auf. »Da bist du ja endlich, mein Junge.« Auch die anderen waren versammelt. Lena, Eliza, Dimal und Charlotte.
Oskar versuchte zu lächeln, aber er war nicht sicher, ob ihm das gelang. Ein dumpfer Schmerz lag über der Welt. Es war, als habe man sein Gehirn in ein mit Äther getränktes Tuch gehüllt. Irgendwo in seinem Hinterkopf tobte ein Kobold.
»Komm, mein Junge, hoch mit dir. Wir haben etwas zu trinken für dich.« Helfende Arme stützten ihn, richteten ihn auf. Licht strömte in seine Augen und ließ den Kobold noch heftiger tanzen. War das eine Hütte?
»Warum ist es so hell?« Das Sprechen fiel ihm schwer.
»Hier, trink einen Schluck, dann geht es dir wieder besser«, sagte Humboldt. Oskar spürte die Wasserflasche an seinen Lippen und öffnete den Mund. Das kühle Nass brachte die Lebensgeister zurück.
»Danke«, sagte er. »Was ist denn los? Wo bin ich?«
»Du warst eine ganze Weile außer Gefecht«, sagte Charlotte.
»Eine ganze Weile? Wie lange?«
»Beinahe zwölf Stunden.«
»Das ist doch …?« Er versuchte sich aufzurichten, aber eine brutale Kraft drückte ihn wieder hinunter. Der Kobold rumorte und tobte.
»Es ist jetzt Mittag«, half Charlotte ihm. »Wir haben uns ziemliche Sorgen gemacht, aber Sudah meinte, du würdest bald aufwachen. Ich bin so froh, dass er recht hatte.«
Humboldt sah ihn aufmerksam an. »Wie geht es dir? Willst du mal versuchen aufzustehen?«
»Gerne.« Oskar nahm die Hand seines Vaters und ließ sich auf die Füße ziehen. Ihm war schwindelig, aber schon wenige Augenblicke später fühlte er, dass er es schaffen würde. Er musste sich nur genug konzentrieren. Vorsichtig ging er ein paar Schritte, dann trat er hinaus ins Licht. Die Augen mit der Hand beschirmend, sah er sich um. Im Dorf war es ruhig. Irgendwo krähte ein Hahn. Der Geruch von verkohltem Holz hing in der Luft.
»Was ist geschehen?«, fragte er. »Ich erinnere mich undeutlich an einen Angriff. Genau – es hat gebrannt, dort drüben.« Er blickte zu der Stelle, an der der Stall gestanden hatte. Nur noch ein paar rauchende Trümmer waren
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