Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels

Abgesehen davon kannst du im Dunkeln viel besser hören. Tust du mir den Gefallen?«
    »Wilma passt auf«, kam es aus dem Sprachtornister. »Keine Sorgen. Wilma gute Ohren.«
    Der Forscher kraulte dem kleinen Vogel über den Kopf. »Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann.«
    Oskar bettete seinen Kopf auf den Rucksack. Es war zwar etwas hart, aber besser als gar nichts. Charlotte lag direkt neben ihm. Im schwachen Schein der Lampe konnte er sehen, dass sie die Augen geöffnet hatte.
    »Bist du nicht müde?«, fragte er.
    »Doch«, flüsterte sie. »Aber immer wenn ich die Augen zumache, sehe ich ihr Gesicht.«
    »Lenas?«
    Sie nickte. In ihren Augen glitzerten Tränen. »Dieser Blick, als wir getrennt wurden. Er war so voller Angst und Hilflosigkeit. Ich habe mich ihr gegenüber ziemlich schlecht verhalten. Ich war einfach schrecklich eifersüchtig. Ich hoffe, ich werde sie wiedersehen und mich mit ihr versöhnen.«
    »Das wirst du«, flüsterte Oskar. Mit einem Lächeln fügte er hinzu: »Ich habe noch nie erlebt, dass zwei Mädchen gleichzeitig in mich verliebt sind. Wann passiert einem das schon mal im Leben? Hat mir gefallen.«
    »Das glaube ich dir aufs Wort.« Im Halbdunkel sah er ihr Grinsen.
    »Schlaf gut«, flüsterte Oskar und berührte ihre Hand. »Morgen ist ein neuer Tag.« Sie erwiderte seinen Händedruck, dann lächelte sie zaghaft und drehte sich auf die Seite.
    Auch Oskar versuchte zu schlafen, doch es dauerte eine ganze Weile, bis er Schlaf fand. Und dann sah er immerzu nur Lenas Gesicht.

 
29
     
     
    Oskar erwachte, weil irgendetwas an seinem Ohr kitzelte. Einen schrecklichen Moment lang dachte er, eine Ratte habe sich unter seine Decke geschlichen, doch dann hörte er die elektronisch verzerrte Stimme Wilmas. »Aufwachen«, flüsterte sie. »Jemand da.«
    Oskar war sofort hellwach. Wie lange hatte er geschlafen? Er fühlte sich munter und ausgeruht. Eine der Lampen gab noch ein letztes, schwaches Glimmen von sich. Wilmas Augen schimmerten wie zwei Sterne am tintenschwarzen Nachthimmel.
    »Ein Geräusch? Wo?« Er konnte nichts hören.
    »Mitkommen.«
    Wilma trabte davon und blieb dann stehen. »Lampe.«
    Oskar warf einen Blick auf seine schlafenden Freunde, dann schnappte er eine der Induktionslampen und folgte seiner kleinen Freundin in die Finsternis. Nach ein paar Umdrehungen der Induktionsspule konnte er wieder einigermaßen sehen.
    Einige Hundert Meter den Hauptstollen hinunter ragte ein seltsames Objekt in die Höhe. Es musste eine Statue sein oder eine Skulptur. Oskar trat näher und fuhr mit den Fingern über den rauen Stein. Das Ding sah aus wie eine Kreuzung zwischen Mensch und Ziege. Es hockte auf den Knien, die Vorderbeine gestreckt und den Kopf erhoben. Der Rücken bog sich krumm und ausgezehrt, sodass die einzelnen Wirbel zu sehen waren. Über dem langen Hals befand sich eine vorgereckte Schnauze mit flacher Nase. Zwei schmale Augen, ein Paar kurze, geschraubte Hörner und spitze Ohren vervollständigten das seltsame Gesicht. Die Form war grob gehauen und wirkte recht archaisch. Mit einem Schauder erkannte er, dass es ein Abbild des Wesens war, das er bei dem nächtlichen Überfall in Porong gesehen hatte. Ein Bildnis eines Steinernen.
    »War es das, was du mir zeigen wolltest?«
    »Nein«, erwiderte Wilma. »Leise.«
    Oskar spitzte die Ohren. Ein merkwürdiges Geräusch drang durch die Finsternis an seine Ohren. Ein dumpfes Knurren oder Röcheln. Ihm stellten sich sämtliche Nackenhaare auf.
    »Komm«, flüsterte Wilma und zischte davon. Oskar wollte ihr zurufen, sie solle zurückkommen, doch es war schon zu spät. Mit einer Furcht, wie er sie noch nie zuvor verspürt hatte, folgte er seiner kleinen Freundin. Wilmas Sinne waren viel schärfer als seine. Wenn sie keine Angst verspürte, sollte er ihr vielleicht vertrauen. Andererseits – dieses Geräusch hörte sich mehr als furchterregend an.
    Er war noch nicht weit gekommen, als er sie wiedersah. Sie stand neben einem Haufen Unrat, der etwas abseits des Hauptstollens in einer Ecke lag. Das Geräusch kam eindeutig von dort.
    Auf Zehenspitzen schlich er sich an. War das ein Tier, was da so schnarchte? Überall lagen Gegenstände herum. Er erkannte eine abgewetzte Ledertasche, einen Rucksack, eine Wasserflasche und … eine rote Mütze mit dunkelgrünem Bommel.
    »Ich will verdammt sein … Lilienkron! Sie verdammter …«
    Weiter kam er nicht. Von Oskars Schrei geweckt, zuckte der Gelehrte hoch und richtete sein Gewehr