Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels
Einbildung. Hier unten konnten einem die Sinne schon mal einen Streich spielen. Sein Vater benutzte seinen Gehstock. Keine schlechte Idee, wenn man bedachte, dass es kaum Möglichkeiten gab, sich irgendwo abzustützen.
An der nächsten Biegung hielt Humboldt an. Er atmete schwer, der Schweiß stand auf seiner Stirn. »Kurze Pause«, keuchte er. »Ein bisschen Wasser und ein Stück Brot für jeden.«
Wortlos setzten sich alle hin. Oskar streckte die Beine aus und nahm einen Schluck aus der Flasche. Humboldt kramte in seinem Rucksack und holte ein paar Messinstrumente heraus. »Was machst du da«, keuchte Charlotte.
»Ich muss mal zwischendurch den Luftdruck, die Temperatur und den Sauerstoffgehalt messen«, erwiderte der Forscher. »Der Abstieg ist nicht ohne Risiko. Durchaus möglich, dass wir in eine Zone mit Grubengas oder Kohlenmonoxid kommen. Wir würden es erst merken, wenn es schon zu spät ist.« Er blickte auf die Anzeige seiner Instrumente und nickte zufrieden. »Die Luft scheint in Ordnung zu sein.« Charlotte reckte ihren Hals vor. »Und der Luftdruck?«
»Ein Anstieg von siebenunddreißig Millibar, das entspricht ungefähr dreihundert Höhenmetern. Vorausgesetzt, die Druckverhältnisse bleiben konstant. Viel mehr Sorgen macht mir die Temperatur. Sie ist um zwei Grad gestiegen.«
»Und was soll daran besorgniserregend sein?« Oskar schüttelte den Kopf. »Ist doch gut, wenn es wärmer wird anstatt kälter.«
»Leider nein«, sagte Humboldt. »Normalerweise wird es immer kühler. Dass es bei dreihundert Metern zwei Grad wärmer geworden ist, bedeutet, dass wir uns einer Wärmequelle nähern. Eine Magmakammer oder etwas Ähnliches. Rechne mal nach, wie hoch die Temperatur steigt, wenn wir auf zwei- oder dreitausend Meter hinuntermüssen. Wir befinden uns hier im Vulkangebiet.«
Oskar schwieg. So hatte er das noch nicht gesehen.
Als sie den Weg fortsetzten, wurde die Luft zunehmend schwüler. Humboldt hatte recht gehabt. Die Temperatur wurde mehr und mehr zum Problem. Immer öfter mussten sie anhalten, um zu trinken. Sie waren jetzt auf einer Tiefe von beinahe tausend Metern und immer noch war kein Ende abzusehen.
»Wie können diese Wesen nur so schnell vorankommen?«, keuchte Oskar. »Ich dachte, bei diesem Tempo müssten wir sie längst eingeholt haben.«
»Vergiss nicht, sie leben seit über tausend Jahren hier«, erwiderte Charlotte. »Ihre geduckte Erscheinung, die kräftige Physiognomie, die Hufe. Das hier ist ihr Lebensraum. Nach allem, was wir bisher erfahren haben, scheinen sich diese Wesen perfekt an das Leben in der Tiefe angepasst zu haben. Einschließlich der immer höher steigenden Temperaturen.«
»Ich habe schon Blasen an den Füßen«, sagte Oskar. »Wie lange müssen wir denn noch gehen? Ich bin so müde, ich könnte mich hinlegen und auf der Stelle einschlafen.«
»Wir brauchen alle eine Rast«, sagte Eliza. »Carl Friedrich, denke bitte daran, dass wir in dieser Nacht noch kein Auge zugemacht haben. Vermutlich ist es schon Morgen da draußen.«
»Recht habt ihr«, erwiderte der Forscher. »Im Eifer des Gefechts habe ich ganz vergessen, dass wir bereits seit vierundzwanzig Stunden auf den Beinen sind.«
»Wie spät ist es denn?«, fragte Oskar.
»Halb sieben«, entgegnete der Forscher. »Höchste Zeit, dass wir uns ausruhen. Also abgemacht. Bei der nächsten halbwegs bequemen Stelle schlagen wir unser Lager auf und schlafen eine Runde.« Alle nickten müde.
Nach ungefähr zweihundert Metern fanden sie eine Nische im Gestein, die ihren Bedürfnissen entsprach. Es war ein kleiner Stollen, der offenbar nicht weiter ausgebaut worden war und nach fünfzehn Metern einfach endete. Sie legten ihre Rucksäcke nieder, breiteten ihre Decken aus und aßen noch schnell eine Kleinigkeit. Richtig Hunger schien niemand zu haben. Die Dunkelheit und das schwere Gestein um sie herum bedrückten sie.
»Was machen wir, wenn jemand kommt?«, fragte Oskar. »Sollen wir eine Wachrotation einrichten?«
»Ich glaube nicht, dass eines dieser Wesen jetzt durch den Stollen geht. Draußen ist heller Tag. Und wenn doch, dann hoffe ich, dass es uns nicht sieht«, erwiderte Humboldt. »Mit ein bisschen Glück bemerkt es uns nicht. Wenn es dich beruhigt, werde ich Wilma fragen, ob sie uns hilft.« Er wandte sich an den kleinen Vogel, der ihn aufmerksam anschaute. »Würde es dir etwas ausmachen, ein paar Stunden die Augen offen zu behalten? Du bist die Einzige von uns, die schon geschlafen hat.
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