Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels
Peitsche. Moose und Flechten dienen als Fell. Aus der Rinde können wir eine Maske schnitzen und ein paar verdrehte Wurzeln für die Hörner lassen sich bestimmt auch finden. Uns selber als Sklaven zu verkleiden dürfte auch nicht schwer werden. Wir ziehen uns bis auf das Nötigste aus, schmieren uns mit Lehm oder Erde ein und laufen entsprechend gebeugt. Den Rest übernimmt der Staub. Ein bisschen Schauspielkunst ist schon gefragt, aber glaubt mir: Schon nach kurzer Zeit wird man uns nicht mehr von echten Sklaven unterscheiden können.«
»Das … das ist entwürdigend.« Lilienkron schüttelte energisch den Kopf. »Ein Sklave – das hat mir gerade noch gefehlt.«
»Passen Sie bloß auf, dass Sie sich benehmen, sonst ziehe ich Ihnen eins mit meiner Peitsche über«, sagte Humboldt grinsend.
»Und … und was wird aus meiner Kopfbedeckung?«
»Ich fürchte, von der werden Sie sich trennen müssen«, sagte Eliza. »Schenken Sie sie Wilma, die wird sich freuen.«
Lilienkron schaute auf den kleinen Laufvogel und machte dabei ein säuerliches Gesicht. »Ich weiß nicht …«
»Also, ich finde Oskars Vorschlag großartig«, sagte Humboldt. »Um aber trotzdem möglichst unauffällig zu sein, werden wir der Steilwand folgen. Das bedeutet zwar einen gewissen Umweg, hätte aber den Vorteil, dass wir uns zur Not verstecken können. Vor allem vor diesen Sandhaien.«
»Einverstanden«, sagte Eliza. »Lasst uns darüber abstimmen. Oder hat noch jemand eine andere Idee?« Alle blickten Lilienkron an. Der Gelehrte schwieg.
»Niemand? Also gut, wer ist für Oskars Vorschlag?«
Alle hoben ihre Hände, selbst Lilienkron. Ihm war anzusehen, wie schwer ihm die Entscheidung fiel.
»Schön«, sagte Humboldt. »Ich würde vorschlagen, dass wir alles, was wir für die Vorbereitungen benötigen, zusammenstellen und uns dann noch ein wenig aufs Ohr legen. Wer weiß, wann wir wieder richtig ausschlafen können. Ich biete mich für die erste Wache an.« Er grinste. »So habe ich Gelegenheit, den Kaltwassergeysir zu beobachten.«
38
Der Thronsaal war das seltsamste Stück Architektur, das Lena je gesehen hatte. Der Boden war mit schwarzen Steinplatten ausgelegt, auf dem sich das Licht der Fackeln spiegelte. Die Wände standen nicht senkrecht, sondern neigten sich in Winkeln gegeneinander, als wären sie eingestürzt. Es gab keine gerade Kante und keine ebene Fläche. Alles war schief und krumm, als wäre ein Wahnsinniger am Werk gewesen. Die Wände wurden von Reliefs verziert, in denen in allen Details die Unterwerfung der Menschheit dargestellt war. Nicht eben erbaulich.
Lenas Augen richteten sich auf das Ende des Saals. Ein Thron stand dort, und darauf saß ein alter, gebeugter Teufelsmensch. Sein Bart war lang, seine Augen dunkel und die Hörner derart geschraubt, dass sie wie eine Krone in die Höhe ragten. Sein gebeugter Körper wurde von mehreren Lagen schimmernden Tuchs umhüllt, in denen er aussah wie eine altägyptische Anubis-Statue. Seine Füße steckten in goldenen Sandalen und um seine Hüften war eine rote Schärpe geschlungen. In seiner Klaue hielt er einen goldenen Stab, der mit Symbolen von Schlangen und Drachen verziert war. Der Thron selbst entpuppte sich beim genaueren Hinsehen als ein Felsbrocken, der wie ein Stuhl geformt war.
Kein Zweifel, sie stand dem Herrscher dieses verfluchten Landes gegenüber.
Auf sein Zeichen hin stießen die Wachen sie vorwärts. Starr vor Angst stolperte sie in Richtung des Throns. Sie war müde, sie war hungrig und Durst verspürte sie auch. Was hatte dieses Wesen mit ihr vor? Wie lange würde sie dieses Martyrium noch durchstehen müssen?
Ein keuchender Laut drang an ihr Ohr.
Der Teufelsmensch hatte seine Hand gehoben. Das Zeichen, stehen zu bleiben. Lena wagte weder den Kopf zu heben noch zu sprechen. Müde von einer Seite zur anderen schwankend, wartete sie, was nun geschehen würde. Der König wechselte ein paar gekrächzte Laute mit seinen Wachen, dann stand er auf. Für ein Wesen, das so alt war, war er recht beweglich. Auf seinen Stab gestützt, umrundete er seine Gefangene, ehe er vor ihr stehen blieb. Sein Atem traf Lena ins Gesicht. Er roch wie eine feuchte Kellertreppe.
Der Teufelsmensch streckte seine Hand aus und berührte ihr rotes Haar. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie er eine einzelne Strähne durch seine schrumpeligen alten Finger gleiten ließ. Seine Haut war dunkel wie gegerbtes Wildleder, seine Fingernägel lang und brüchig. Wieder wurden ein
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