Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels
paar Worte gekrächzt. Die Hand berührte ihr Kinn und hob es an.
Sie hob den Blick und sah ihm in die Augen.
Das Wesen musste uralt sein. Älter noch, als es aus der Ferne den Anschein gehabt hatte. Die Reptilienhaut war an manchen Stellen rau und abgewetzt. Die Zähne schienen kaum mehr als braune Ruinen zu sein und die Mundwinkel hingen schlaff herunter. In seinen Augen leuchtete ein dunkles Feuer. Aus der Ferne hatten sie schwarz und ausdruckslos gewirkt, doch jetzt sah Lena, dass sie rot waren. Von einer Farbe, wie man sie tief unten in einem Vulkan sehen konnte. In ihnen spiegelten sich Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende von Wut, Hass und tiefer Enttäuschung.
Urplötzlich kam Lena die Geschichte mit den zwei Inseln wieder in den Sinn. War es möglich, dass Humboldt recht hatte und in dieser alten Legende tatsächlich ein wahrer Kern steckte?
Das Wesen senkte seine Hand und stieß ein paar krächzende Laute aus. »Schafft sie weg«, hörte sie eine Stimme. »… soll in … Minen arbeiten.«
Die Worte waren verzerrt und bruchstückhaft, aber deutlich zu verstehen. Die Stimme kam aus ihrem Kragen, genauer gesagt aus dem Ohrhörer. Das Linguaphon – sie hatte es völlig vergessen. Schnell steckte sie den Hörer in ihr Ohr. In all den Stunden hatte es geschwiegen, dabei war es die ganze Zeit damit beschäftigt gewesen, die altertümliche Sprache der Steinernen zu entschlüsseln.
Eine Wache packte sie an der Schulter.
Lena justierte den Kragen, nahm ihren ganzen Mut zusammen und sagte: »Bitte. Lasst mich am Leben.«
Der Herrscher sah sie entgeistert an. In seinen Augen war ein Glimmen zu erkennen.
»Ich beherrsche eure Sprache und kann euch zu Diensten sein«, sagte Lena. »Ich könnte Botengänge erledigen oder euch bewirten. Bitte, tötet mich nicht.«
»Was hast du gesagt?«
»Ich habe Durst und brauche etwas zu essen. Und müde bin ich auch. Aber ich könnte euch von Nutzen sein.«
Der Herrscher kam näher. So nahe, dass sie seinen Atem auf der Haut spüren konnte. »Du sprichst unsere Sprache?«
Lena nickte. »Ja.«
»Wie kann das sein? Kein Erdenmensch spricht unsere Sprache. Wer hat dir das beigebracht? Rede!«
»Niemand. Ich kann es einfach.« Dem Herrscher von ihrem Linguaphon zu berichten würde zu weit führen. Außerdem bestand dann die Gefahr, dass er es ihr wegnehmen würde.
Der Alte wirkte erstaunlich gefasst. »Bist du diejenige, die ich in meinen Träumen gesehen habe?«
»Wie, was?« Lena wusste nicht, was das Wesen damit meinte. »Ich komme von weit her, wenn Ihr das meint«, sagte sie. »Genauer gesagt war ich nicht allein. Wir sind zu sechst, doch wir wurden getrennt. Wir sind mit einem Luftschiff gekommen.« Ihre Finger waren schweißnass.
»Ah.« Der Herrscher blickte sie eine ganze Weile eindringlich an, dann stieß er mit seinem Stab auf den Boden. »Wenn du dich ausgeruht hast, wirst du wieder zu mir kommen. Und jetzt geh. Ich ertrage den Anblick von Menschen nicht, mögen deine Haare auch die Farbe von Feuer besitzen.« Zu seinen Wachen gewandt, sagte er: »Nehmt ihr die Kette ab. Gebt ihr etwas zu essen und zu trinken und dann lasst sie schlafen. Ich werde mich später mit ihr beschäftigen.«
Eliza schrak auf. Irritiert blickte sie sich um. Schummeriges Licht fiel durch die Öffnung. Oskar, Charlotte und Lilienkron lagen neben ihr im Pilz und schliefen tief und fest. Wo steckte Humboldt? Vermutlich war er draußen und hielt Wache. Der Forscher benötigte nur wenig Schlaf. Trotzdem. Es war höchste Zeit, dass sie ihn mal ablöste.
Ihre Schläfen massierend, kroch sie nach draußen. Ihr Kopf fühlte sich an, als könne er gleich zerplatzen. Was hatte sie da nur geträumt? War das wirklich Lena gewesen, die sie da gesehen hatte? Doch, ganz gewiss. Lena, wie sie in irgendeinem mächtigen Saal stand und mit einer Kreatur sprach. Das Wesen war wie ein Herrscher gekleidet gewesen, wie ein König. Eliza hatte mächtige Hallen, steile Treppen und schräge Rampen gesehen.
Sie zwinkerte ein paarmal, dann verblasste das Bild. War das wirklich nur ein Traum gewesen?
Müde kroch sie aus der Öffnung. Lilienkron hatte ihr versichert, dass der Pilz ungefährlich sei, aber er verströmte halluzinogene Gerüche, die ihre Sinne schärften und ihren empfindsamen Geist empfänglich für fremde Botschaften machten.
Die kühle Luft tat ihr gut. Überall um den Tümpel herum waren frische Pfützen. Vermutlich war der Geysir in der Zwischenzeit ein zweites Mal
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