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Chronos

Titel: Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
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den Rücken, damit sie schlafen konnte – falls das überhaupt ein Schlafen war –, während die kardiovaskuläre Maschine stetig gegen ihr Brustbein schlug. Billy öffnete den Tunnel – er erschien sofort, weiß und wunderbar, seine letzte Bestätigung, dass die Wunder echt waren –, und dann schloss er ihn wieder. Ann Heath hatte ihm erklärt, wie sie Vorbereitungen getroffen hatte, den Tunnel für immer zu schließen, und Billy fragte sich, was wohl geschehen wäre, wenn er und Bruder Piper und Bruder Hallowell an diesem Haus vorbeigelaufen wären und woanders Unterschlupf gefunden hätten. Er hätte nie etwas geahnt, hätte nie etwas davon erfahren. Er hätte sein Leben gelebt, ohne je etwas von Tunnels zwischen verschiedenen Zeitzonen gehört zu haben. Er dachte darüber nach und über Ohio und über die Infanterie, und wie sehr er sie hasste. Er dachte an seine Rüstung. Dann schaltete er die Rüstung auf volle Leistung und ging nach oben, wo Bruder Piper und Bruder Hallowell schliefen, und er legte seine Hand auf Bruder Pipers bloßen Kopf und brannte einen qualmenden Kanal durch dessen Schädel, dann wandte er sich um und tat das Gleiche bei Bruder Hallowell, ehe er vollständig aufgewacht war. Dann rannte er nach unten und beeilte sich, weil er befürchtete, dass dieser seltsame, aufrührerische Mut sich verflüchtigte und er am Ende weinend zusammenbrechen würde.
    Er hielt inne und beugte sich über Ann Heath. Ann Heath war wieder wach und beobachtete ihn mit ihrem linken Auge. Billy sagte: »Leiden Sie?« Und sie antwortete mit ihrer tonlosen, rauen Stimme: »Ja.« Billy fragte: »Wären Sie lieber lebendig oder tot?« Und als sie antwortete: »Tot!«, tat er bei ihr das Gleiche wie bei Piper und Hallowell. Aber er schaute dabei weg, damit er nicht mit ansehen musste, wie der Glaskeil mit der neuen Wunde verschmolz, die er ihr zufügte.
    Die kardiovaskuläre Maschine streikte, als das Blutvolumen rapide absackte. Billy schaltete die Maschine aus, ehe er ging.
    Er erinnerte sich an diesen kahlen Raum, während er bei Lawrence Millstein saß.
    Billy erinnerte sich seit Kurzem an eine ganze Menge. Manchmal strömten die Erinnerungen einfach aus ihm heraus wie ein Fluss aus einer mysteriösen Quelle. Vielleicht wurde er alt. Vielleicht ließ irgendein Defekt in der Rüstung – oder in ihm selbst – diese Erinnerungsschübe zu. Er war eigentlich nie ein besonders guter Soldat gewesen. Er war das, was die Infanterieärzte ein »anomales Subjekt« nannten, anfällig für unberechenbare chemische Reaktionen und ungewöhnliche neurale Vorgänge. Die meisten Soldaten liebten ihre Rüstung, und das tat auch Billy, aber er liebte sie, wie ein Süchtiger seine Sucht liebt: innig und voller Bitterkeit.
    Er zwang Lawrence Millstein, die Adresse des Apartments preiszugeben, in dem sein Opfer – Tom Winter – wohnte. Er erwog, direkt dorthin zu gehen, doch die Sonne war mittlerweile aufgegangen, und die morgendlichen Straßen waren strahlend hell. Er sah aus Lawrence Millsteins Hoffenster auf eiserne Feuerleitern und über einen engen Hinterhof hinweg, in dem ein ausrangierter Fernseher glänzte wie eine Flasche, die das Meer angespült hatte. Billy trug seine vollständige Rüstung, und es wäre schwierig, bei Tageslicht hinauszugehen, ohne aufzufallen.
    Aber hier war er in Sicherheit ... wenigstens für eine Weile.
    Lawrence Millstein hatte Toilettenpapier um seinen Fingerstumpf gewickelt. Er saß auf einem Stuhl und starrte Billy an. Er hatte Billy nicht aus den Augen gelassen, seit er die Schlafzimmerlampe angeknipst hatte. »Es wird ein heißer Tag«, sagte Billy und beobachtete, wie Millstein beim Klang seiner Stimme zusammenzuckte. »Ein richtiger Glutofen.«
    Millstein gab darauf keine Antwort.
    »Dort, wo ich herkomme, ist es richtig heiß«, sagte Billy. »Wir haben Sommer, dagegen ist dies hier wie Weihnachten. Allerdings nicht so feucht.«
    Mit einer Stimme, die unangenehmerweise ähnlich klang wie die von Ann Heath, fragte Lawrence Millstein: »Woher kommen Sie denn?«
    »Aus Ohio«, antwortete Billy.
    »So was wie Sie gibt es in Ohio nicht«, sagte Millstein.
    »Da haben Sie recht.« Billy lächelte. »Ich lebe im Wind. Ich bin noch nicht einmal geboren.«
    Lawrence Millstein, der ein Dichter war, schien diese Aussage zu akzeptieren.
    Eine Stunde verstrich, in der Billy seine Alternativen überdachte. Schließlich sagte er: »Kennen Sie seine Nummer?«
    Millstein war müde und hatte nicht auf seinen

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