Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Chronos

Titel: Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
Vom Netzwerk:
Ich bin drei Tage lang in Manhattan herumgekurvt, vom Battery Park bis hinauf nach Washington Heights in der vagen Hoffnung, dass ich auf irgendetwas stoße.« Er legte den Kopf schief. »Sie klingen wie ein Telefon. Ein Rufzeichen. Der Eindringling klingt eher wie ein Zahnarztbohrer.«
    »Sie sagen also, dass er in Larry Millsteins Apartmenthaus war.«
    »Deshalb hatte ich es doch so eilig, von dort zu verschwinden.«
    »Er muss gewusst haben, dass ich dorthin ging.«
    »Ich nehme es an. Aber ...«
    »Nein«, unterbrach Tom ihn. »Lassen Sie mich mal nachdenken.«
    Es war schwierig, überhaupt zu denken. Falls Archer recht hatte, war er nur wenige Meter von dem Mann entfernt gewesen, der ihn ermorden wollte. Der Millstein tatsächlich ermordet hatte. Und wenn der Eindringling auf ihn gewartet hatte, dann musste Millstein dem Eindringling geholfen haben.
    Sie waren zu dem Haus geeilt, weil Millstein Joyce bei Mario's angerufen hatte.
    Der Eindringling wusste über Mario's Bescheid. Der Eindringling kannte auch Tom. Vielleicht kannte er sogar seine Adresse. Ganz sicher wusste der Eindringling über Joyce Bescheid.
    Die in Begleitung eines Polizisten weggefahren war. Die vielleicht gerade jetzt nach Hause zurückkehrte. Wo der Eindringling unter Umständen auf sie wartete.
    Tom verschüttete seinen Kaffee, als er aufsprang.
    Archer versuchte ihn zu beruhigen. »Sie tun wahrscheinlich nichts anderes, als sie so lange auszufragen, wie sie bereit ist, stillzusitzen und mitzuspielen. Sicherlich macht sie gerade vor irgendeinem verschlafenen Cop eine Aussage, während wir hier herumdiskutieren. Ihr kann bestimmt nichts passieren.«
    Tom hoffte es. Aber wie lange wäre sie bereit, Fragen zu beantworten? Durchaus möglich, dass sie selbst auch einige Fragen auf der Zunge hatte.
    Er konnte seine Erinnerung an den Hausflur vor Lawrence Millsteins Wohnungstür nicht verdrängen. All das Blut.
    »Fahren Sie mich nach Hause«, bat er Archer. »Wir warten dort auf sie.«
    Archer hob die Augenbrauen bei dem Wort »nach Hause«, aber er suchte in der Tasche nach den Autoschlüsseln.
    Sie fuhren durch die engen Straßen der Lower East Side. Die Stadt wirkte verlassen, dachte Tom, das Straßenpflaster und die Ladenfronten glänzten vom Regen, und aus den Gullyöffnungen stieg Dampf auf. »Dort ist es«, sagte er, und Archer fuhr vor dem Haus an den Bordstein.
    Der Regen trommelte laut auf das Dach des alten Wagens.
    Tom streckte die Hand nach dem Türgriff aus. Archer hielt ihn fest.
    »Ist er etwa in der Nähe?«, fragte Tom.
    »Ich glaube nicht. Aber er kann hinter der nächsten Ecke lauern, einen halben Block entfernt. Hören Sie, was geschieht, wenn sie nicht zu Hause ist?«
    »Dann warten wir auf sie.«
    »Wie lange?«
    Tom zuckte die Achseln.
    »Und wenn sie dort ist?«
    »Dann nehmen wir sie mit.«
    »Was? Zurück nach Belltower?«
    »Dort ist sie in Sicherheit ... jedenfalls sicherer als hier.«
    »Tom, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.«
    Er öffnete die Tür. »Ich habe keine bessere.«
    Er drückte auf den Klingelknopf.
    Niemand öffnete. Dann stieg er die Treppe hinauf – diese alten schmutzigen Stufen, die unter seinen Füßen protestierten. Es musste gegen vier Uhr morgens sein, schätzte Tom. Das Licht der Glühbirne über dem Absatz war fahl und unangenehm.
    Er öffnete die Tür und wusste sofort, dass die Wohnung leer war.
    Er knipste die Beleuchtung an. Joyce war nicht zu Hause, und er vermutete – hoffte inständig –, dass sie auch noch nicht dagewesen war. Nichts hatte sich seit dem Morgen verändert. Zwei Kaffeetassen standen auf dem Küchentisch mit eingetrockneten braunen Resten. Er ging ins Schlafzimmer. Das Bett war noch nicht gemacht. Der Regen trommelte gegen das Fenster, ein einsames Geräusch.
    Die Zeitung vom Vortag lag aufgeschlagen auf der Armlehne des Sofas, und Tom betrachtete sie mit einem Anflug von Sehnsucht. Wenn er nur einen Tag zurückgehen könnte, dann könnte er alles ändern, Joyce in Sicherheit bringen, vielleicht sogar Lawrence Millstein das Leben retten – er wüsste ja, was passieren würde.
    Aber der Gedanke war absurd. Hatte er das nicht längst bewiesen? Mein Gott, da stand er, im Besitz von fast dreißig Jahren Vorausschau, und er konnte noch nicht einmal sich selbst helfen. Es war alles ein Traum gewesen. Ein Traum von etwas, das »die Vergangenheit« genannt wird, eine Fiktion, sie existierte nicht. Nichts war vorhersagbar, nichts lief zweimal auf die gleiche Weise

Weitere Kostenlose Bücher