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Chronos

Titel: Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
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Bastelphase zusammengebaut hatte. Aber die Möbel waren altmodisch, stillos und makellos sauber. Sie vermutete, dass sie zum Haus gehörten.
    »Ich sollte dir erklären, weshalb ich hierhergekommen bin.«
    Tom schüttelte den Kopf. »Das kann ich mir vorstellen. Tony hat dich angerufen, nicht wahr?« Sie nickte. Er lächelte. »Ich hätte es eigentlich wissen sollen. Es tut mir leid, Barbara. Nicht, dass ich dich wiedersehe, sondern dass du den weiten Weg hierher völlig umsonst zurückgelegt hast.«
    »Tony macht sich Sorgen. Ab und zu reagiert er richtig anständig. Loreen machte sich auch ihre Gedanken, sagt er.«
    »Das sollten sie aber nicht.«
    Sie wollte das Thema nicht weiterverfolgen. Dafür sagte sie: »Es ist ein schönes Haus.«
    »Ich glaube, ich sollte dich mal herumführen.«
    Er zeigte ihr die Küche, das Schlafzimmer, das Gästezimmer, das Bad – alles sauber, altmodisch und sogar ein wenig steril. Sie ging auf die Treppe zu, aber Tom machte keine Anstalten, ihr zu folgen. »Das ist nur der Keller. Nichts von Interesse.«
    Sie ließ sich am Küchentisch nieder, während er eine Kanne Kaffee zubereitete. »Hier sieht es aber nicht aus wie in einem Junggesellenhaushalt.«
    Sein Lächeln war geheimnisvoll. »Ich denke, ich habe seit dem College einiges dazugelernt.«
    »Tony erzählte, du arbeitest in seinem Geschäft.«
    »Stimmt.«
    »Wie läuft es?«
    Er kam mit zwei Tassen Kaffee an den Tisch und stellte eine vor sie hin. »Lausig. Vielleicht hat Tony das auch erwähnt. Ich habe keine Begabung dafür, den Leuten ihr Geld abzuknöpfen.«
    »Du warst auch immer ein schlechter Kartenspieler. Hast du vor zu kündigen?«
    Er nickte. »Ich denke daran wegzugehen.«
    Diese Unterscheidung – nicht »kündigen«, sondern »weggehen« – kam ihr sehr seltsam vor. »Du gehst nicht ans Telefon, der Job gefällt dir nicht ... Willst du umziehen?«
    »Ich habe noch keine festen Pläne.«
    »Du willst also nicht darüber reden.«
    Er zuckte mit den Schultern.
    Sie sagte: »Naja, ich kann es Tony und Loreen nachfühlen, dass sie sich Sorgen machen. So wie jetzt habe ich dich noch nie erlebt.«
    Sie meinte seine Stimmung, aber es war auch die Art und Weise, wie er aussah. Seine Schwammigkeit war verschwunden. Er bewegte sich, als habe er irgendeine verborgene Energiequelle gefunden. Sie überlegte, ob sie in seinem Medizinschrank nach irgendwelchen Aufputschmitteln suchen sollte, aber das war keine chemisch bedingte Lebhaftigkeit. Das lag viel tiefer, dachte sie. Es war eine zweckbedingte, zielgerichtete Energie.
    »Ich bin nicht krank«, sagte er. »Und ich bin nicht verrückt.«
    »Kannst du mir einen Hinweis geben, was los ist?«
    Er zögerte lange. Schließlich gab er sich einen Ruck. »Ich habe mich entschlossen, weder mit Tony noch mit Loreen noch mit irgendjemand sonst darüber zu reden. Ich glaube, ich habe das Recht dazu.«
    »Und du willst auch nicht mit mir darüber reden.«
    Eine längere Pause. Er lächelte nicht mehr.
    »Ich habe sehr lange auf dich gewartet«, sagte er. »Ich wünschte mir, dass du zurückkommst. Ich stellte mir vor, wie du durch diese Tür trittst. Um zu mir zu kommen und dazubleiben. Aber du bist nicht deshalb hergekommen.«
    »Nein«, gab sie zu.
    »Wir haben keine gemeinsamen Geheimnisse mehr. Das ist eine Tatsache, an der sich nichts ändern lässt.«
    »Ich denke auch. Aber du verstehst, weshalb ich gekommen bin?«
    »Ja.«
    »Du hättest das Gleiche getan, nicht wahr?«
    »Ja, das hätte ich.«
    Sie tranken ihren Kaffee in der Stille der Küche. Ein sanfter Lufthauch bewegte die Fenstervorhänge über der Spüle.
    Gegen Mittag begriff Barbara, dass er tatsächlich Vorbereitungen traf, um für lange Zeit wegzugehen; dass er seine Geheimnisse hatte, aber offenbar nicht an Selbstmord dachte; und dass sie ihn wahrscheinlich nie wiedersehen würde.
    Sich mit der letzten Erkenntnis abzufinden, fiel ihr schwerer, als sie erwartet hatte. Sie hatte ihn vor Monaten verlassen, und die Trennung war endgültig gewesen. Sie hatte nie die Absicht gehabt, noch einmal mit ihm zusammenzutreffen. Das Getrenntsein war schwierig gewesen, aber kein traumatisches Erlebnis. Das lag vielleicht daran, dass er in ihrem Hinterkopf immer noch da war, so solide und unverletzbar wie ein Monument, ein Teil ihres Lebens in Stein gemeißelt.
    Sein Absturz in den Alkoholismus hatte diese Gewissheit erschüttert, doch nun war sie in ihrer Existenz ernsthaft bedroht. Das war nicht der Tom, den sie verlassen

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