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Chuzpe: Roman (German Edition)

Chuzpe: Roman (German Edition)

Titel: Chuzpe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lily Brett
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Correspondence konnte sich nicht mehr über Mangel an Aufträgen beklagen. Ruth mußte eine Menge Kondolenzbriefe anläßlich des 11. Septembers verfassen. Ihre Kunden wollten in allen möglichen Geschäfts- und Privatschreiben an das tragische Geschehen anknüpfen. Auch in anderen Bereichen kehrte Normalität ein. Oder das Gegenteil von Normalität. Drei Jahre nach dem 11. September schienen alte Vorurteile tiefer zu sitzen als je zuvor. Alte Animositäten hatten sich verfestigt und gesteigert. Und Vertrautheit zwischen den Leuten schien so abwegig und unmöglich zu sein wie bisher.
    Ruths Vertrautheit mit ihrem Vater war gewachsen. Der siebenundachtzigjährige Edek Rothwax war vor fünf Monaten von Melbourne in Australien nach New York gezogen. Es war sein Wunsch gewesen. Er wollte seiner Tochter Ruth näher sein. Sie hatte ihm gesagt, daß es nicht leicht sein würde. Daß er einsam wäre in New York. Daß er keinen seiner Freunde in seiner Nähe haben würde. »Ich habe keine Freunde«, hatte er erwidert. »Mit wem verkehre ich schon?«Ruth hatte mehrere Leute aufgezählt. »Das sind keine Freunde«, hatte Edek gesagt. »Das sind Leute, mit was ich spiele Karten.«
    »Ich bin noch gesund und kräftig«, sagte Edek. »Ich kann dir in deiner Firma helfen. Ich kann immer noch Pakete austragen und bestellen die Sachen, was du benötigst. Ich kann dir erleichtern die Arbeit.« Bei der Vorstellung, wie Edek ihr das Leben erleichterte, hatte Ruth Atembeklemmungen bekommen.
    Ihre Vorahnungen hatten sie nicht getrogen. Edek stiftete Unordnung in ihrer Firma, um nicht zu sagen: Chaos. Er hatte sich selbst zum Leiter dessen ernannt, was er als »Vorwärtsabteilung« bezeichnete. Ruth hatte ihm zu erklären versucht, daß er für die Vorräte an Papier und dergleichen mehr zuständig sei und daß das nichts mit der jüdischen Zeitung Der Forverts zu tun habe. »Richtig«, hatte er geantwortet, »ich bin die Vorwärtsabteilung.« Ruth hatte nicht insistiert. Edek war schlicht nicht zu bremsen. Er kam jeden Tag ins Büro. Vor Ruth. Sogar vor Max, der zweiunddreißigjährigen Mitarbeiterin, die seit fast elf Jahren für Ruth arbeitete.
    Edek bestellte von allem zu viel. Er bestellte zwölf Kartons Papier für den Laserdrucker. Jeder Karton enthielt acht Ries Papier. Und jedes Ries bestand aus fünfhundert Blatt Papier. Summa summarum 48 000 Blatt. In der Woche darauf bestellte er weitere zwölf Kartons. Rothwax Correspondence benötigte nicht annähernd soviel Papier. Sie machten von jedem Brief nur zwei Ausdrucke, und fast ein Drittel der Briefe, die sie verfaßten, wurde mit der Hand geschrieben. Tara McGann, eine Doktorandin an der Columbia University, saß nachts im Büro und schrieb die Briefe. Sie hatte eine schöne Handschrift. Lesbar obendrein. Und sie verschrieb sich nie. Ruth hoffte, daß es noch einige Jahre dauern würde, bis Tara McGann ihre Promotion in der Tasche hatte.
    Edek bestellte am liebsten aus dem Katalog. Er bestellte für sein Leben gern. Er bestellte Notizbücher mit Spiralbindung. Zu Hunderten. »Ich kann sehen, daß du die ganze Zeit notierst in solchen Notizbüchern die Sachen, was du dir willst merken«, sagte er, als Ruth ihn zur Rede zu stellen versuchte. Sie verkniff sich die Bemerkung, daß sie solche Notizbücher nur benutzte, wenn sie nicht im Büro war. Im Büro benutzte sie Notizblöcke. Ganz normale Notizblöcke. Rothwax Correspondence hätte eine weltumspannende Firmenkette sein müssen, um Verwendung für die Unzahl von Notizbüchern mit Spiralbindung zu haben, die Edek bestellt hatte. Und die Notizbücher hatten gelbes Papier. Ruth haßte es, auf gelbem Papier zu schreiben.
    Mit Mühe und Not konnte Ruth verhindern, daß Edek Stifte mit ihrem Firmennamen orderte. Er hatte sie gefragt, welcher Slogan ihr für die Stifte am besten gefiele. Sein Vorschlag war gewesen: »Rothwax Correspondence für die Briefe von Jedermann«. »Ich finde, das wäre sehr gut für das Geschäft«, hatte er gesagt, und er sah gekränkt aus, als Ruth entschieden antwortete: »Nein, das wäre es nicht.« Innerhalb weniger Tage hatte er sich von diesem Schlag erholt. Und bestellte weiter. Er bestellte die absonderlichsten Dinge. Er bestellte einen Staubsauber mit integriertem Navigationssystem. Man drückte auf einen Knopf, und der Staubsauger sauste über den Fußboden.
    »Teppichboden haben wir nur in einem einzigen Zimmer«, hatte Ruth gesagt, »und das ist die Abstellkammer.«
    »Aber diese Maschine ist enorm

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