Chuzpe: Roman (German Edition)
vergehen sehr viel schneller.«
Ruth sah ratlos drein. »Nicht mehr viel wird vergehen, Ruthie«, sagte Edek. »Fast alle Sachen, was mußten vergehen, sind schon vergangen.« Er sah sie an, als wäre sie zurückgeblieben. Sie kam sich begriffsstutzig vor.
Am Abend zuvor war Ruth mit Zelda spazierengegangen. Sie waren Arm in Arm gelaufen. Sie waren durch SoHo und Tribeca gegangen, bis nach Battery Park City. Die meiste Zeit hatten sie geschwiegen. Sie waren nur spazierengegangen. Das Wetter war inzwischen milder. Die Abendluft war eine Wohltat. Ruth war glücklich gewesen. Glücklich, Zeldas Arm zu spüren. Glücklich, Zeldas Haar zu riechen. Von Battery Park aus hatten sie die Fähre nach New Jersey genommen und waren in Hoboken umhergewandert.
»Ich finde Zofia sehr nett«, hatte Zelda gesagt, als sie fast wieder in SoHo waren. »Sie ist wirklich sehr nett. Zachary und Kate finden das auch. Und Walentyna ist einfach süß. Walentyna hat mir angeboten, mir das Nähen beizubringen.«
Walentyna konnte nähen? dachte Ruth. Erklärte das möglicherweise Walentynas befremdlichen Kleidungsstil? Ihre Kleidung wirkte ausgesprochen hausbacken. Wenn Walentynas Kleidung Indiz ihrer Fähigkeiten als Schneiderin war, würde Zelda nichts entgehen, falls sie die Nähstunden nicht wahrnahm, dachte Ruth.
»Die Sachen, die sie anhat, finde ich toll«, sagte Zelda. »Sie macht sie selber.«
»Du findest sie toll?« sagte Ruth.
»Ja«, sagte Zelda. »Sie haben diesen kindlichen, unschuldigen Zufallslook. So uneitel. Sie hat sie einfach an. Nichts ist zu eng.«
»Nichts ist zu eng?« sagte Ruth. »Es geht nicht darum, daß ihre Kleider nicht zu eng sind. Daß sie nicht zu eng sind, ist nicht das Problem. Das Problem ist, daß die Sachen ihr überhaupt nicht passen.«
»Roo, du hast in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen eine doppelte Negation verwendet«, sagte Zelda. »Paß bloß auf, das werde ich den anderen petzen.«
»Ich vermute, daß der Grund mein Erstaunen darüber war, daß dir Walentynas Kleidungsstil gefällt. Oder daß du darin überhaupt einen Stil sehen kannst«, sagte Ruth.
»Ich will nicht selber so herumlaufen«, sagte Zelda. »Ich will nur die Grundlagen beigebracht bekommen, wie man einen Rock schneidert.«
Mit Walentyna als Lehrerin konnten die Grundlagen vielleicht etwas weniger grundlegend ausfallen, als Zelda sich das vorstellte, dachte Ruth. Ihnen konnten ein paar grundlegende Voraussetzungen fehlen wie zum Beispiel die, daß ein Rock seiner Trägerin paßte.
Zwei weitere prospektive Mitglieder, die sich für die Frauengruppe angemeldet hatten, hatten an diesem Vormittag per E-Mail mitgeteilt, daß sie leider nicht teilnehmen konnten. Die eine der beiden sagte, sie habe auf einmal gemerkt, daß sie an den meisten Abenden arbeitete, die andere hatte ohne nähere Erklärung abgesagt. Ruth war deprimiert. Und dann verärgert. Kein Mensch merkte auf einmal, daß er abends arbeitete. So etwas gehörte nicht zu den Dingen, die einem mit einemmal zu Bewußtsein kommen. Wer fast immer abends arbeitete, der wußte das auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit.
Am Spätnachmittag hatte Edek angerufen. Er hatte wissen wollen, ob er sich mit ihr treffen könne. In geschäftlichen Dingen. »Wir können uns treffen in dem Café, was du magst«, hatte er gesagt. »In dem Caff Doughnut.«
Für einen Augenblick war Ruth verwirrt gewesen. Sie kannte kein Caff Doughnut. »Es heißt nicht Caff Doughnut«, sagte sie, »es heißt Caff Dante.« Caff Dante war das Gegenteil eines Caff Doughnut. Manche der Kuchen machte Mario, der Inhaber, und die übrigen wurden täglich aus Mailand eingeflogen. Obwohl man sich in New York befand, dachte Ruth, gab es sicher einen Laden, in dem handgemachte Doughnuts verkauft wurden, die in der Antarktis in Trockeneis verpackt und per Luftfracht importiert wurden. Alles, was eine weite Reise hinter sich hatte, war in New York begehrt. Wenn ein Artikel von einem Kamel durch die Wüste getragen und dann von einem Esel weiterbefördert werden mußte, dann hatte dieser Artikel die besten Aussichten, in New York en vogue zu sein.
»Es ist egal, was ist der Name von dem Café«, sagte Edek. »Ich und Zofia und Walentyna wissen, wo es ist.«
»Wann wollen wir uns sehen?« fragte Ruth.
»Heute nach der Arbeit?« sagte Edek.
»Okay«, sagte Ruth.
Zofia und Walentyna und Edek warteten bereits im Caff Dante, als Ruth ankam. Alle drei aßen gelati .
»Wir müssen
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