CIA: Die ganze Geschichte (German Edition)
großen Feind vor uns zu haben. Der Feind muss immer im Zentrum stehen. Er muss absolut böse sein.«
In Kennan fand Bedell Smith nach seinen Worten »den besten Mentor, den sich ein neu angekommener Botschafter nur wünschen kann«.
An einem kalten, sternenklaren Abend im April 1946 fuhr Bedell Smith in einer Limousine, die den amerikanischen Stander führte, in die Kreml-Festung hinein. Am Tor überprüften sowjetische Geheimdienstoffiziere seine Identität. In der inneren Kreml-Anlage passierte sein Wagen die alten russisch-orthodoxen Kirchen und die riesige zerbrochene Glocke am Fuß eines hohen Glockenturmes. Salutierende Soldaten in hohen schwarzen Schaftstiefeln und Kniehosen mit roten Streifen winkten ihn in ein Gebäude. Bedell Smith war allein gekommen. Die Soldaten führten ihn einen langen Gang hinunter, durch eine hohe, mit dunkelgrünem Steppleder gepolsterte Flügeltür. Und schließlich, am Ende einer Zimmerflucht, in einem Konferenzraum mit hoher Decke, traf der General den Generalissimo.
Bedell Smith stellte Stalin eine doppelsinnige Frage: »Was wünscht die Sowjetunion, und wie weit gedenkt Russland zu gehen?«
Stalin richtete den Blick in die Ferne, zog an einer Zigarette und kritzelte mit einem Rotstift schiefe Herzen mit Fragezeichen in der Mitte aufs Papier. Er sagte, er führe nichts gegen andere Staaten im Schilde. Er kritisierte Winston Churchill, der einige Wochen zuvor in einer Rede in Missouri vor dem Eisernen Vorhang gewarnt hatte, der sich quer durch Europa ziehe.
Stalin sagte, Russland kenne seine Feinde.
»Glauben Sie wirklich, dass die Vereinigten Staaten und Großbritannien sich zu einer Allianz zusammengeschlossen haben, um Russland zu schwächen?«, fragte Bedell Smith.
»Da« , war Stalins Antwort.
Der General fragte noch einmal: »Wie weit wird Russland gehen?«
Stalin blickte ihm direkt ins Gesicht und sagte: »Nicht viel weiter.«
Was sollte das heißen? Niemand wusste es. Welchen Auftrag hatte der amerikanische Nachrichtendienst angesichts der neuen sowjetischen Bedrohung? Niemand wusste es mit Sicherheit zu sagen.
»Ein Jongleurschüler«
Am 10.Juni 1946 wurde General Hoyt Vandenberg zum zweiten Direktor des zentralen Nachrichtendienstes ernannt. Als schneidiger Pilot hatte er Eisenhowers taktischen Luftkrieg in Europa angeführt und befehligte nun eine Nachtflugeinheit, die in einer Reihe unscheinbarer Backsteingebäude am äußersten Ende von Foggy Bottom, auf einem kleinen Steilufer des Potomac, stationiert war. Seine Kommandostelle befand sich im alten Hauptquartier des OSS, E Street Nr. 2430, zwischen einem stillgelegten Gaswerk, einem mit Türmchen verzierten Brauereigebäude und einer Rollschuhbahn.
Vandenberg fehlten drei wesentliche Arbeitsmittel: Geld, Macht und Leute. Nach Auffassung von Lawrence Houston, von 1946 bis 1972 Justiziar des Zentralen Nachrichtendienstes, war die Central Intelligence Group gesetzlich nicht abgesichert. Der Präsident hatte nicht das Recht, einfach mal so eine Bundesbehörde zu schaffen. Und die CIG hatte nicht das Recht, ohne die Zustimmung des Kongresses Geld auszugeben. Kein Geld aber hieß: keine Macht.
Vandenberg ging daran, die Vereinigten Staaten zur Auslandsaufklärung zurückzuführen. Er richtete ein neues Büro für Sonderoperationen (Office of Special Operations oder OSO) ein, das in Übersee Spionage und subversive Tätigkeiten übernehmen sollte; und für die Durchführung dieser Aufträge erhielt er unter der Hand von ein paar Kongressabgeordneten 15 Millionen Dollar. Er hatte vor, alles über die sowjetischen Streitkräfte in Ost- und Mitteleuropa – ihre Bewegungen, Potenziale und Absichten – in Erfahrung zu bringen, und wies Richard Helms an, in aller Eile etwas zu liefern. Helms, damals zuständig für Spionage in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn, mit einer Dienstliste, auf der 228 europäische Mitarbeiter standen, schrieb dazu, er habe sich gefühlt wie »ein Jongleurschüler, der versucht, einen aufgeblasenen Wasserball, eine unverschlossene Milchflasche und ein geladenes Maschinengewehr in der Luft zu halten«. In ganz Europa hätten sich damals »unzählige politische Flüchtlinge, ehemalige Geheimdienstler, Ex-Agenten und allerlei Geschäftemacher in Nachrichtenmagnaten verwandelt, um gefälschte Informationen auf Bestellung zu verkaufen«. Je mehr seine Spione für den Kauf der Nachrichten ausgaben, umso wertloser wurden diese. »Ein drastischeres
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