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CIA: Die ganze Geschichte (German Edition)

CIA: Die ganze Geschichte (German Edition)

Titel: CIA: Die ganze Geschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Weiner
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Beratungen über die Tunneloperation, das den Decknamen »Jointly« (Gemeinsam) erhielt. Aus diesen Beratungen ging im darauffolgenden Sommer ein Aktionsplan hervor. Ein Gebäude von der Größe eines ganzen Häuserblocks sollte sich aus dem Schutt erheben, und sein Dach würde mit Antennen gespickt sein, um den Sowjets weiszumachen, es handele sich um eine auf Signale aus der Atmosphäre gerichtete Radarstation – ganz nach Art des Zaubertricks, der auf Ablenkung basiert. Die Amerikaner sollten den Tunnel in Richtung Osten graben, und zwar bis zu einem bestimmten Punkt unterhalb der Kabel. Die Briten würden dann, gestützt auf ihre Wiener Erfahrung, vom Ende des Tunnels aus einen senkrechten Schacht zu den Kabeln anlegen und die Anzapfgeräte montieren. Ein Londoner Büro, das schließlich auf 317 Beamte anwuchs, sollte die von der CIA aufgezeichneten Gespräche bearbeiten. In Washington würden 350 Mitarbeiter der Agency mit der Abschrift der im Tunnel abgefangenen Fernschreiberdaten beschäftigt sein. Die Pioniereinheit der US-Armee übernahm die Grabung, wobei die Briten technische Hilfe leisteten. Das größte Problem war wie immer die Übersetzung der bei der Operation abgefangenen Mitteilungen: »Nie ist es uns gelungen, so viele sprachkundige Leute zu finden, wie wir benötigt hätten«, heißt es in der CIA-Studie, denn an Sprachkenntnissen im Russischen und sogar im Deutschen herrschte bei der Agency empfindlicher Mangel.
    Fertiggestellt wurde der Tunnel Ende Februar 1955, und einen Monat später begannen die Briten mit der Montage der Anzapfgeräte. Erste Informationen flossen im Mai. Der Tunnel erbrachte mehrere zehntausend Stunden mit Gesprächen und Fernschreiben, die wertvolle Details über Kernwaffen und konventionelle Bewaffnung der Sowjets sowie Erkenntnisse über das sowjetische Verteidigungsministerium in Moskau und die Struktur der sowjetischen Spionageabwehraktionen in Berlin enthielten. Er verschaffte Einblick in politische Verwirrung und Unentschlossenheit unter sowjetischen und ostdeutschen Funktionären und verriet Name beziehungsweise Deckidentität von mehreren hundert Offizieren des sowjetischen Nachrichtendienstes. Er lieferte Informationen – selbst wenn deren Übersetzung Wochen oder Monate dauerte – zum Preis von 6,7 Millionen Dollar. Als er entdeckt wurde, was die Agency zu irgendeinem Zeitpunkt erwartet hatte, galt er, wie die CIA-Studie treffend formuliert, als Zeichen dafür, dass »die Vereinigten Staaten, die in Sachen Spionage fast überall als ungeschickter Neuling angesehen wurden, einen Schlag gegen die Sowjets führen konnten, der lange Zeit als Meisterstück auf diesem Gebiet anerkannt wurde«.
    Die CIA hatte nicht damit gerechnet, dass die Operation schon so früh auffliegen würde. Sie dauerte weniger als ein Jahr – bis zum folgenden April, als der Tunnel entdeckt wurde. Denn der Kreml hatte von Beginn an davon gewusst, noch bevor man die erste Schaufel mit Erde bewegt hatte. Enthüllt wurde ihnen der Plan von George Blake, einem sowjetischen Maulwurf im britischen Nachrichtendienst, der während der Kriegsgefangenschaft in Nordkorea die Seite gewechselt und die Sowjets schon Ende 1953 in das Geheimnis eingeweiht hatte. Für Moskau war Blake so wertvoll, dass es die Tunneloperation elf Monate lang laufen ließ, ehe es sie in einem plumpen Propagandamanöver ans Licht der Öffentlichkeit zerrte. Noch Jahre später, selbst nachdem ihr klar war, dass die andere Seite von Beginn an über den Tunnel Bescheid wusste, glaubte die CIA, sie habe Gold geschürft. Bis heute ist nicht geklärt, ob Moskau bewusst irreführende Informationen in den Tunnel einspeiste. Das vorliegende Material lässt den Schluss zu, dass die CIA aus dem Anzapfen der Kabel zweierlei wertvolle und einwandfreie Erkenntnisse gewinnen konnte. Sie lernte etwas über die Struktur sowohl des sowjetischen als auch des ostdeutschen Sicherheitssystems; und sie entdeckte nicht die geringsten Warnzeichen, die darauf hingedeutet hätten, daß Moskau einen Krieg plante.
    »Für diejenigen unter uns«, so Tom Polgar, ehemaliger Mitarbeiter der Berliner CIA-Basis, »die ein bisschen was über Russland wussten, war es ein rückständiges Drittweltland, das einen Entwicklungsfortschritt nach dem Vorbild des Westens anstrebte.« Aber diese Sichtweise wurde auf den höchsten Ebenen in Washington verworfen. Weißes Haus und Pentagon gingen davon aus, dass die Absicht des Kreml dieselbe sei wie ihre eigene: am ersten

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