Cinderella undercover
mich ein vollkommen anderer Mensch an. »Das war eine super Idee, ich danke dir«, kreischte ich dermaßen laut über die Terrasse, dass einige der Gäste mich irritiert ansahen. »Wie bist du denn auf diesen Farbton gekommen?«
»Ist ja klar, dass du mal wieder nichts mitgekriegt hast: Die ganze Stadt ist voll von Plakaten der Kosmetikfirma HeavenlyNature . Das Model der Kampagne ist ein Mädchen, das genauso aussieht, wie ich mir immer Schneewittchen vorgestellt habe. Da sie schwarze Haare hat, war ich mir nicht ganz sicher, ob der Pflaumenton dir stehen würde, aber voilá: Absolut perfekt!«
Das fand ich allerdings auch…
Nach mir probierte Paule den Stift aus. Aber sie musste die Farbe wieder abwischen, weil sie zwar zu ihren Augen, aber überhaupt nicht zu ihrem Teint und ihrer Haarfarbe passte.
Nachdem wir unsere Drinks genossen und über alles und nichts gequatscht hatten, spazierten wir eine Weile an der Elbe entlang, spielten mit fremden Hunden Stöckchen, beobachteten die Leute und schmiedeten Pläne für die nächsten Tage.
»Wie soll das Ganze jetzt eigentlich konkret aussehen?«, wollte Paule wissen, als ich ihr erzählte, dass Stephanie für die Dauer von Paps Geschäftsreise auf mich aufpassen würde. »Wohnt sie dann bei euch oder kommt sie jeden Abend vorbei, um zu kontrollieren, ob du auch brav deine Schularbeiten gemacht hast? Wird sie dich füttern?« Die letzte Frage wurde von einem zynischen Lächeln begleitet, was meine Laune in Bezug auf Stephanie Wolters nicht gerade hob.
Ich ärgerte mich noch immer darüber, dass mein schöner Plan, mir mit Paule allein ein paar schöne Tage zu machen, an ihr gescheitert war.
»Sie wird jeden Tag anrufen und jeden zweiten vorbeikommen, um mir, beziehungsweise uns, Essen zu bringen. Außerdem soll ich sie benachrichtigen, falls irgendetwas passiert. Ich hoffe einfach, dass sie selbst nicht so große Lust auf den Zirkus hat und uns die meiste Zeit in Ruhe lassen wird.«
»Hm, das ist ja auch ganz schön viel Verantwortung für jemanden, der dich kaum kennt«, überlegte Paule auf dem Rückweg zur S-Bahn. Mittlerweile war es halb acht und wir mussten beide nach Hause.
»Ach komm, lass uns nicht mehr von diesem ganzen Quatsch reden, ich spendier uns zum Abschluss noch ein Eis«, schlug ich vor, als ich die Schlange vor dem Café Dornröschen sah, wo es nicht nur Hamburgs beste Donauwelle, sondern auch geniales Straciatella-Eis gab.
Paule guckte skeptisch in Richtung Schlange und blickte dann an sich herunter.
Oh Mann, jetzt war sie schon wieder am Kalorienzählen!
»Du kannst ja Zitrone nehmen, das besteht zum größten Teil aus Wasser«, schlug ich vor, obwohl wir beide wussten, dass das nicht wirklich der Wahrheit entsprach.
»Überredet!«, stimmte Paule zu und wir stellten uns zu den Wartenden.
Am darauffolgenden Nachmittag ging ich mit klopfendem Herzen und Knien wie Wackelpudding zur Anmeldung für die Mappenpräsentation.
Einmal pro Woche nahm sich einer der Professoren der Hamburger Hochschule für bildende Künste die Zeit, um Bewerber bei der Zusammenstellung ihrer künstlerischen Arbeiten zu beraten.
Etwa zwanzig weitere Kandidaten und Kandidatinnen warteten schon im Vorraum und musterten sich gegenseitig.
Die Atmosphäre war ähnlich angespannt, wie Paule sie mir von den Aufnahmeprüfungen an Tanzschulen oder bei Gesangswettbewerben beschrieben hatte.
Doch zum Glück brach hier wenigstens niemand plötzlich in lauten Gesang aus, nervte mit endlosen Tonleiterübungen oder ging unerwartet vor meinen Augen ins Plié, um seine Beinmuskulatur warm zu halten. Aber auch hier schlief die Konkurrenz nicht, was man schon an den Outfits der anderen Bewerber erkennen konnte: Um mich herum türmten sich kunstvoll verwuschelte Frisuren, baumelten riesige Ohrgehänge, flatterten bunt bedruckte Stoffe. Ledermäntel und gehäkelte Patchwork-Röckchen schmiegten sich an die Körper der nervös, aber teils auch sehr abschätzig dreinblickenden Kandidaten für den Bachelor of Fine Arts.
»Ist ganz schön unheimlich, oder?«, fragte ein schmächtiger Typ in abgerissenem Pullover, der trotz der Hitze Pulswärmer trug und sein straßenköterblondes Haar zum Teil unter einem Zylinder (!!!) versteckte. »Man fühlt sich in diesem Umfeld automatisch total spießig, nicht?«
Ich schluckte schwer, denn im Gegensatz zu ihm war ICH wirklich kein optischer Knaller, sondern ziemlicher Durchschnitt. Natürlich trug ich mal wieder meinen geliebten Jeans-Mini,
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