Cinderella undercover
von dieser Frau erntete.
»Ach, ist das so?«, fragte sie in einem Ton, als hätte ich ihr gerade erklärt, dass die Relativitätstheorie ganz anders funktionierte, als good old Einstein sich das gedacht hatte.
»Ich kann das leider nicht beurteilen, weil ich absolut keine Erfahrung mit so etwas habe. Ich bringe unsere gesamte Wäsche in die Reinigung!«
»Also ich schon, weil ich seit Mamas Tod bei uns für die Wäsche zuständig bin«, antwortete ich und wartete gespannt auf ihre Reaktion.
Stephanies schmales, zartes Gesicht mit dem perfekten Make-up verzog sich ein klitzekleines bisschen.
Diese Frau schien kaum dazu in der Lage zu sein, echte Mimik zu zeigen.
Ob nun Botox daran schuld war oder der Mangel an echten Gefühlen, konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Alles, was ich wusste, war, dass sie mich irritierte, weil irgendwie nichts an ihr wirklich zusammenzupassen schien: ihre eisgrauen, kühlen Augen erinnerten mich an Husky-Schlittenhunde, ihr sinnlicher, weicher Mund an den von Sexbombe Angelina Jolie.
»Ach, du Arme, das wird sich ab jetzt alles ändern«, hauchte Stephanie und tätschelte mitfühlend meine Hand, die ich mit einer ruckartigen Bewegung schnell wieder zurückzog.
Wie jetzt, ändern?!?
Alle Alarmsignale liefen auf Hochtouren und ich sah Paps, der sich gerade wieder gesetzt hatte, fragend an.
»Äh, will noch jemand außer Cynthia und Kristen ein wenig Wein?«, fragte er und schenkte hektisch nach.
»WAS genau wird sich ab jetzt ändern?«, fragte ich und hatte die schlimmsten Befürchtungen.
Stephanie strahlte über das ganze Gesicht (das heißt im Rahmen ihrer Möglichkeiten): »Ab sofort werde ich mich um dich kümmern… und deine neuen Schwestern natürlich auch!«, flötete sie und blickte triumphierend in die Runde.
4.
»Schön, dass du so pünktlich bist, dann können wir ja gleich los«, rief ich vergnügt, als Paule mich am Dienstag von der Schule abholte. Ich fand es immer wieder schade, dass wir nicht auf dasselbe Gymnasium gingen, sonst hätten wir uns viel häufiger sehen können.
Doch heute hatten wir ausnahmsweise mal jede Menge Zeit und wollten einen Ausflug machen. Unser Ziel war Blankenese, wo wir ein bisschen an der Elbe herumbummeln und Kuchen oder Eis essen wollten. Außerdem hatte Paule eine kleine Überraschung für mich, wie sie schon per SMS angekündigt hatte.
Als wir an der S-Bahn-Haltestelle Blankenese ausstiegen, fingen die Erinnerungen an Samstagabend und meine neue Familie allmählich an zu verblassen. Ab Donnerstag würde ich unter der »Aufsicht« von Stephanie Wolters stehen, weil mein Vater nach Hongkong fliegen musste. Damit ich nicht ständig darüber nachdachte, hatte ich Paule verboten, über dieses Thema zu sprechen.
»Was hältst du davon?«, fragte sie und deutete auf die Terrasse des Schlosshotels, das in meinen Augen aussah wie aus dem Märchen. Seine Fassade war von Rosenhecken umrankt und mit ein bisschen Fantasie konnte man sich gut vorstellen, dass Dornröschen oben im Turmzimmer lag und ihren hundertjährigen Schlaf schlief, bis der Prinz kam und sie wach küsste.
»Sieht super aus!«, stimmte ich zu und suchte nach einem schönen Platz mit Blick auf die Elbe. »Heute gönnen wir uns was.«
Ein junges Mädchen brachte uns die Karte und ich überlegte, ob ich eine Eisschokolade oder besser eine Rhabarberschorle bestellen sollte. Schlussendlich entschied ich mich für einen Eiskaffee und Paule (wegen der Figur) für die Schorle.
»Also, was ist das?«, fragte ich neugierig, als Paule ein liebevoll eingewickeltes Päckchen vor mich auf den Tisch legte. »Ich hab doch weder Geburtstag, noch ist Weihnachten.«
»Keine Sorge, ist nur ’ne Kleinigkeit. Ein bisschen Munition gegen die Invasion der Schönen und Reichen.«
Als ich das Päckchen öffnete und den Inhalt sah, war ich einen Moment lang irritiert. Vor mir lagen ein Kosmetikspiegel, ein Lippenstift und ein Lipliner in einem wunderschönen Pflaumenton, den ich noch nie zuvor gesehen hatte.
»Damit du dich zwischendurch auch mal wild und gefährlich fühlen kannst«, erklärte Paule und grinste. Da ich mich sonst kaum schminkte, sollte dieser besondere Farbton Plume mir wohl helfen, ein bisschen selbstbewusster zu werden. Etwas unsicher zog ich den Lippenstift aus dem Kästchen.
»Los, probier!«, feuerte Paule mich an und hielt mir den Spiegel vor die Nase, während ich vorsichtig begann, meine Lippenkonturen nachzuziehen. Und siehe da: Aus dem Spiegel sah
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