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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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machte beinahe mehr Aufhebens um meine Hand als um den mit Herzinfarkt diagnostizierten Patienten auf unserer orangen Trage, was Schlager einen sarkastischen Kommentar wert war. Ich streifte die blutigen Einweghandschuhe ab und erhielt einen ordentlichen Verband. Unsere Praktikantin beobachtete alles mit undurchdringlichem Blick, meine Unachtsamkeit vermutlich missbilligend. Ich bat Natalia, die Formulare und das Fahrtenbuch ausfüllen, was sie zweifellos gerne tat, und unterschrieb mit ungelenken Buchstaben. Zum Glück war die Schicht vorbei.
    Zu meiner Ü berraschung bot Natalia an, mich im Auto nach Hause fahren, was ich als unnötig ablehnte; doch sie bestand darauf. Ihren winzigen, rostroten Nissan Micra steuerte sie energisch und mit der gleichen Effizienz, mit der sie alles andere bewältigte, das Lenkrad fest im Griff ihrer überraschend großen Hände. Halbherzig bot ich ihr zum Dank einen Kaffee an, und zu meiner Überraschung nahm sie an. Zwei Minuten, nachdem sie durch die Tür meines unaufgeräumten Appartements getreten war, spürte ich ihre festen Lippen auf meinem Mund. Es war eine Situation, die mir ganz und gar unwahrscheinlich vorkam.
    Sie war nicht nur ä ußerlich das genaue Gegenteil von Hanna: Physisch präsent, vital, ganz im Diesseits verankert. Hungrig, ehrgeizig, zielbewusst. Als es dunkel geworden war und wir uns, jeder für sich, zwischen den Laken dem Halbschlaf überließen, fragte ich mich, was sie in mir sah, oder wen. Vielleicht den Rettungsassistenten? Den Boten Sarazuls? Sie, die sich ihr ganzes Leben zu Höherem berufen gefühlt und sich danach gestreckt hatte, während ich nachlässig mit meinen Gaben umging und mich vagen Ideen überließ.
    Ich lauschte auf ihren Atem, der sich beruhigt hatte, und obwohl ich sie seit Monaten mehrmals in der Woche gesehen hatte, konnte ich mich nicht an ihr Gesicht erinnern. In meiner Vorstellung sah ich ihren festen, üppigen Körper, und anstelle des Kopfes eine geschnitzte Maske, etwas Aztekisches vielleicht. Das Bild wurde so stark, dass ich mich aufrichtete und sie anblickte. Ihre Augen waren um eine Winzigkeit geöffnet, aber ich wusste nicht, ob sie mich sah.
    Und Hanna? Mit all ihren Sinnen, wü rde sie es wissen? Unwillkürlich zog ich die Decke bis zu den Schultern hoch. Wäre sie verletzt, enttäuscht? Der Versuch, mir Eifersucht auf ihren Zügen vorzustellen, blieb erfolglos. War es das, wovor ihre Engel sie gewarnt hatten? Plötzlich, mit unerhörter Intensität, vermisste ich sie; es fühlte sich an, als habe ich einen Schlag gegen das Brustbein erhalten. Und gleichzeitig hasste ich sie dafür, sich mir auf ihre vage Art entzogen zu haben. Mir, dem Boten Sarazuls. Natalia hatte die Augen wieder aufgeschlagen und wie absichtslos die Decke bis zur Hüfte abgestreift. Sie zog mich zu sich heran, und mit einer Entschiedenheit, die ihr zu gefallen schien, drängte ich mich an sie.

    Es war keine Seltenheit, dass man sich im Dienst kleinere Blessuren holte: Aufschürfungen an den Fingern vom Kontakt mit dem Rauputz an einer zu schmalen Wendeltreppe oder blaue Flecke, die von unvermuteten Stolperhindernissen zeugten. Es liegt auch nicht an dem, was in der Nacht sonst noch geschah, dass ich mich an das Missgeschick beim Öffnen der Ampulle erinnern kann, es liegt schlicht an der Narbe, die die eigentlich so kleine, saubere Wunde hinterließ, und die nach wie vor rot und frisch aussieht, während ich sie betrachte. Vielleicht war es mir vorher nur noch nicht aufgefallen, aber mein Körper hatte sich augenscheinlich verändert, war mir in gewissem Sinne fremd geworden: Meine Selbstheilung funktionierte nicht mehr so wie früher, harmlose Kratzer verweigerten die Besserung, und kleine Wunden hinterließen dauerhafte Spuren.

    Am nächsten Tag war ich krank, zum ersten Mal seit langer Zeit. Natalia verschwand im morgendlichen Zwielicht, mit einem festen Kuss und einem keinen Widerspruch duldenden, mit ihrem kaum noch zu ahnenden, etwas harten Akzent im Flüsterton hergehauchten das bleibt unser Geheimnis voller stimmhafter, weicher s . Sobald sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, spürte ich die Anzeichen einer Erkältung: Kratzen im Hals, schmerzende Glieder, ein dumpfer Druck im Kopf.
    Zwei Tage ging das so, eine Ewigkeit. Das Fieber stieg, die Intensitä t der Symptome nahm zu, auf ein Buch konnte ich mich nicht konzentrieren, und alle Musik klang verbraucht, zu oft gehört in meinen Ohren. Wieder dachte ich an Hanna und ihre

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