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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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Krankengeschichte und versuchte meine harmlose Unpässlichkeit in Beziehung zu setzen zu ihren Leiden und zu den Leiden der Patienten, denen ich im Berufsalltag begegnete. Am dritten Tag eine leichte Besserung: Wenn die Nase anfängt, zu laufen, dann ist das Schlimmste schon überstanden.
    Zwischendurch lä utete verschiedentlich das Telefon, und ich überlegte, wer das sein könne, aber eigentlich machte es keinerlei Unterschied, denn es gab niemand, den ich sprechen wollte. Metz gegenüber hatte ich Probleme mit dem Telefon angedeutet, Leitungsdefekt oder so etwas, um immer eine gute Entschuldigung zu haben. Ein Mobiltelefon besaß ich, so wie die meisten Kollegen, nicht; das wäre angesichts noch unübersichtlicher Netze, mäßiger Verbreitung und hoher Tarife eher ein Statussymbol gewesen. Natalia sollte mich so ohnehin nicht unbedingt sehen, falls das überhaupt in ihrer Absicht lag, und Hanna, Hanna hatte mich noch nie angerufen – zwar hatte ich ihr meine Nummer einmal aufgeschrieben, aber ich war fast sicher, dass sie den Zettel längst verloren hatte. Das Telefon war ihr, stellte ich mir vor, nicht einmal eine ausdrückliche Ablehnung wert, sie verwendete es einfach nicht, weil sie feineren Wahrnehmungen und Verbindungen vertraute. Und falls sie wider Erwarten doch anriefe – ich wusste nicht, was ich ihr hätte sagen sollen.
    So dä mmerte ich dahin, in einer Mischung aus Erschöpfung, Halbschlaf und Langeweile, gefangen auf einem Karussell immer wiederkehrender Gedanken. An den Circulus Finalis zu denken, vermied ich, das verhalf den Kopfschmerzen nur zu neuer Intensität. Erst, als es mir wieder besser ging, kam mir Siad wieder in den Sinn, und ich fragte mich, ob er es vielleicht war, der versucht hatte, mich zu erreichen. Es wird Zeit haben, dachte ich mir, so wie alles andere. Ich hatte meine freien Tage im Bett verbracht und brauchte nicht einmal eine Krankmeldung. Im Grunde war ich froh über die Auszeit. Was sind schon ein paar Tage?

20
    Was sind schon ein paar Tage? Bald saß ich wieder auf der verschlissenen Stoffcouch im Wachraum, mit einem Becher Kaffee in der Hand, den Blick auf den Fernsehschirm gerichtet.
    Das Programm wurde in dieser Zeit dominiert von den Berichterstattungen zur Win terolympiade, und in der wiederkehrenden Hysterie, die fester Bestandteil internationaler Großsportereignisse ist, war für ein paar Wochen die Zahl errungener Medaillen Maßstab für die Bedeutung eines Landes. Auf dem Bildschirm Athleten mit vorspringenden Helmen und Schützern an Unterarmen und Schienbeinen wie Gladiatoren, und auch weite Teile des Publikums ohne allzu große Veränderung in den letzten 2000 Jahren in ihrer Erwartung: Diese zähe Mischung aus Hoffen und Fürchten, dass Blut den Boden der Arena färben möge und ein zuckender Körper in ihrer Mitte zu liegen käme. Man wollte Helden, und man wollte die Helden fallen sehen.
    Auf irgendetwas wartete auch ich, vage zwar nur, aber doch spü rbar. Ich redete mir ein, dass es ein Zeichen von Hanna war. Darüber entging mir, dass sich auf der Wache mit ihren lang etablierten, festgefahrenen Ritualen etwas verändert hatte in der kurzen Zeit meiner Abwesenheit. Es dauerte eine ganze Weile, bis mir bewusst wurde, dass sich die Aktivitäten der Mitglieder wie eine Kompassnadel nach einem neuen Ziel ausgerichtet hatten – der Entschleierung des Geheimnisses von Sarazul. Ob dieser Mensch je gelebt hatte oder nicht, das war in dieser Phase bereits nicht mehr entscheidend.

    Unverändert begegnete mir Natalia. Kein Blick, kein Wort deutete darauf hin, dass die gemeinsame Nacht eine Bedeutung für sie hatte, die über die Dämmerung am nächsten Morgen hinausreichte; ich vermutete, dass sie es bereits bereute, und war eher beruhigt als beleidigt. Aber am Abend stand sie wieder vor meiner Tür, sagte warum gehst du nie ans Telefon? Trat ein und küsste mich. Auf dem Teppich kam ich wieder zu mir, der Rücken gerötet vom rauen Nadelfilz.
    „ In meine Wohnung können wir nicht gehen“, sagte sie, so als habe ich darum gebeten, ihre Familie kennen zu lernen, „nie. Ich lebe mit einer Studentin zusammen, keine Männer, das haben wir ausgemacht.“ Sie lächelte mich an, zeigte ihre kräftigen, weißen Zähne. Mir kam diese Regelung nicht sehr konsequent vor, aber ich war zu müde, um zu antworten, zu müde, um noch aufzustehen; ich zog die Decke vom Bett herunter und wickelte mich darin ein. Irgendwann mitten in der Nacht weckte sie mich, ohne Bedauern,

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