Circulus Finalis - Der letzte Kreis
als sei unser Rettungswagen da, vielleich t waren die Kollegen gerade zurückgekommen. Durch den unverschlossenen Seiteneingang betrat ich die Halle. Es wurde ruhig, nur gelegentlich rüttelte der Wind an dem metallenen Rolltor. Das Fahrzeuginnere war beleuchtet, die seitliche Schiebetür stand einen Spalt offen. Plötzlich wurde mir klar, dass irgendetwas hier nicht war, wie es sein sollte. Vielleicht lebten nur zwei Ehrenamtliche ihre erotische Fantasie auf der Trage aus, aber mein Herz schlug schnell und fest. Langsam schlich ich am Fahrzeug entlang bis zur seitlichen Tür zum Patientenraum.
Auf der Trage lag ein Mä dchen, bleicher noch, als ich es kannte. Angelika, Geli. Wegmann stand dabei, hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und lehnte an der Innenwand des Wagens. Eigentlich lehnte er nicht, er wirkte, so wie meistens, unruhig und rastlos, obwohl man keinerlei Bewegung sah. So als zucke und wippe alles an ihm, nur so leicht, dass es gerade eben nicht bewusst wahrzunehmen war. Tann hingegen war ganz ruhig. Er hatte Geli eine Hand auf die Stirn gelegt. Ein grüner Schein lag über der Szene; noch nie war mir unsere Fahrzeugbeleuchtung so merkwürdig verfärbt erschienen. Der vertraute Ort wirkte fremd.
An der Medikamentenschublade steckte der Schlü ssel, und obwohl ich bisher nicht bemerkt hatte, dass etwas fehlte, wusste ich, dass es mein Schlüssel war.
Ich reagierte nicht sofort. Die Distanz zwischen mir und dieser Szene war auf einmal so unü berbrückbar groß, als sei das Geschehen Teil eines Spielfilms. Wollte ich eingreifen, dann würden meine Finger unzweifelhaft auf das Glas des Fernsehschirms treffen. Tann sagte etwas Beruhigendes zu ihr. Ich hörte nicht, ob sie antwortete. Wegmann lehnte sich unwillkürlich mit dem Oberkörper etwas vor.
Langsam drü ckte ich die Schiebetür zurück, bis sie ganz offen stand. Die beiden sahen mich völlig entgeistert an, von dem Mädchen keine Reaktion. Ich sagte nur Guten Abend .
Mit allem hatte ich gerechnet, aber nicht mit Tanns Antwort:
„Es ist gut, dass du da bist. Hast du es gespürt?“
Selbst Wegmann sah ihn unsiche r an und blickte dann zu mir. Mir, dem gar nichts einfiel. Dass ich Abwehr, vielleicht sogar eine aggressive Reaktion erwartet hatte, das zeigte mir zum ersten Mal, wie sehr das Gespür für meine Kollegen und für ihre geistige Verstrickung in diese Sache mich verlassen hatte. Tann war der Meinung, ich müsse das hier für eine ausgezeichnete Gelegenheit halten, dem Geheimnis Sarazuls näher zu kommen.
„ Seid ihr wahnsinnig? Was habt ihr dem Mädchen gegeben?“ Mir schwindelte, und ich hielt mich am Türgriff fest.
Wegmann schaltete sich ein. Fahrig breitete er die Hä nde aus. „Nichts! Wir haben sie hier so gefunden.“ Unsicher sah er zu Tann hin.
Dessen Augen hatten sich verengt. „ Also du bist… Du hast ihr den Schlüssel gegeben und bist jetzt zurückgekommen, um zu hören, was sie zu sagen hat …“
Es war ein Blick in das Licht des Wahnsinns, ein in sich logischer und doch vö llig irrer Gedankengang.
Schwach und unregelmäß ig sah ich ihren Brustkorb sich heben. Die unterste Rippe zeichnete sich im harten Licht deutlich unter dem T-Shirt ab. Es war kalt im Auto. Mir wurde das Offensichtliche klar: Dass sie Probleme hatte, ernste Probleme, die sich nicht durch die Zugehörigkeit zu einer obskuren Gruppe mit auf einer Erfindung basierenden, zweifelhaften Werten lösen ließen. Die dadurch vielleicht noch schlimmer geworden waren. Ferner, dass der Hintergrund dieser Erfindung – die Suche nach Wahrheit – einen bedrohlichen Aspekt nicht ausschloss, den ich nicht vorhergesehen hatte. Das Mädchen bewegte die Lippen, aber nichts war zu hören.
Unwillkü rlich trat ich näher und sah in ihr blutleeres Gesicht, nur die nicht mehr fokussierten Augen waren rot unterlaufen. Gemeinsam mit Tann beugte ich mich über sie.
„ Es ist der Schlüssel…“
Mehr war nicht zu verstehen, ihre Lider begannen zu flattern.
Tann sah mir ins Gesicht: „Was bedeutet das?“
„ EKG und Sauerstoff, vielleicht müssen wir sie reanimieren. Ich rufe den Notarzt. Und wenn ihr nicht schnell macht, gleich die Polizei mit.“
Er sah mich noch immer an.
„ Na los!“ Ich schrie jetzt. Gelis Augenlider flatterten wieder.
Tann zuckte zurü ck, beinahe eingeschüchtert. „Wir haben, was wir brauchen, oder?“
Ich ging nach vorne, zum Funkgerä t.
Noch in der Nacht gab es eine Besprechung mit Metz und Lambertus. Es war
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