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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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unterhaltsam ein. Mit dieser Stellung war ich ganz zufrieden, aber angesichts der jüngsten Ereignisse war das so einfach nicht; immerhin hatte ich den Stein ins Rollen gebracht. Ich war, auch wenn niemand mich je so nannte, der Bote, derjenige, von dem man sich, beizeiten oder wenn es notwendig werden sollte, neue Kunde erwartete, vielleicht sogar Führung.

    Hanna am Bahnhof: Irgendwie wirkte sie fehl am Platz mit ihrer weiten, weichen Kleidung, ein helles Tuch über der Schulter, wie sie da stand, in der kathedralengroßen Bahnhofshalle zwischen fast schon nostalgisch wirkenden Gepäckwagen, deren gelber Lack weitgehend abgeblättert war, hinter ihr die Hinweistafel mit den klappernden Kunststoffschildern des Anzeigers: Eurocity Leonardo da Vinci nach Ancona. Verloren, so sah sie aus. Abfahrt in neun Minuten.
    Sie hatte auf der Wache angerufen, von einer Telefonzelle aus vermutlich. Kein ä therisches Lachen drang aus dem Hörer so wie sonst, stattdessen Müdigkeit in der Stimme, bei deren Klang ich ihre Augenringe fast vor mir sah. „Ich muss nach Süden“, hatte sie nur gesagt, so als sei sie ein Zugvogel. „Kannst du zum Bahnhof kommen? Der Zug fährt in vierzig Minuten.“
    Eigentlich hatte m ein Dienst bereits begonnen, aber Anska als mein Vorgänger war noch da und bot an, länger zu bleiben. Der Bericht über einen neuerlichen Flugzeugabsturz machte ihm die Entscheidung vermutlich leicht. Auch sonst war es eine unruhige Zeit, Erdbeben im Iran mit tausenden Toten und Hilfskräften vor dem Mikrofon, deren bleiche Gesichter sich der staubigen Trümmerlandschaft angepasst hatten. Auch Falco war tot: Schlager hatte die Meldung aufgenommen, indem er seine Brille absetzte. Verstohlen sah ich ihn an, er sagte nichts. Obwohl er Personenkult und Starhysterie im Allgemeinen mit Verachtung kommentierte, ging ihm die Nachricht vom Tod seines Landsmannes doch offensichtlich nahe. In der Uniform lief ich zur Haltestelle und nahm die Regionalbahn. Fünfundzwanzig Minuten später stand ich am Bahnhof der großen Stadt.
    Sie sah blasser aus als ü blich, und anders als sonst trug sie nicht nur ihre kleine Umhängetasche aus Leinen bei sich, sondern hatte eine größere Reisetasche auf den schmutzigen, verblichenen Kunststoffleisten einer Bank abgestellt. Sie sah mich an, wie ich da stand, verschwitzt und abgehetzt, und sagte nur entschuldigend, sie habe mich sehen müssen. Fährst du weg, fragte ich überflüssigerweise. Sie nickte, immerhin wieder mit dem Schatten eines Lächelns.
    „ Für lange?“
    Sie sah mich nur an. „ Ich muss dir etwas sagen.“
    „ Und das ging nicht früher? Warum hast du dich nicht gemeldet? Wer bin ich für dich? “ Fragen, die sich in den letzten Wochen aufgestaut hatten, und die ihr jeder schon viel früher gestellt hätte. Jeder, nur nicht ich.
    „ Ich habe Angst um dich. Komm mit mir.“
    Es wä re ein Leichtes gewesen, einen weiteren Schwall von Fragen an diese Bitte anzuschließen. Für einen Augenblick war da noch die Freude darüber, dass sie mich bei sich haben wollte, was immer das auch weiter bedeutete. Aus einem Lautsprecherpaar gleich neben uns kündigte eine tiefe Stimme mit deutlich regionalem Akzent die Einfahrt des Zuges an. Wir starrten einander an, ohne uns verständigen zu können.
    „ Wo wirst du sein?“
    „ Ich weiß noch nicht, wo. Ich habe einen Freund in Rom, einen Tänzer. Wir könnten dort eine Weile bleiben.“
    Ich spü rte rasende, unsinnige Eifersucht, sah sie die Berührungen einer Nacht wie unserer letzten, Berührungen, nach denen ich mich sehnte, einem anderen zukommen lassen in ihrer überpersönlichen Liebe zum Leben und zum Augenblick.
    „ Warum musst du weg?“
    Sie raffte ihre Gewä nder und schlang beide Arme um den dünnen Körper. „Mir ist kalt. Es wird dunkel. “
    Der Zug fuhr ein, die Bremsen quietschten. Das Zischen der Pneuma tik mischte sich mit dem Klappen aufschwenkender Türen.
    „ Wer hat dir das gesagt? Ein Engel?“ Sie bewegte leicht den Kopf, die Andeutung eines Kopfschüttelns.
    „ Komm mit mir“, sagte sie noch einmal. „Du bist in Gefahr.“
    Als trennten sich zwei Bilder, sah ic h sie in einem Moment als Wahnsinnige, auf der Flucht vor ihren dämonischen Schmerzen und den vagen Prophezeiungen anderer wirrer Gestalten; im nächsten Moment als von Hellsicht bedrängte, für die Dinge im Vorhinein klar waren, über die andere selbst nachher noch rätseln würden. Irgendwo darunter verborgen das Mädchen, dessen Gegenwart

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