Circulus Finalis - Der letzte Kreis
wieder mit diesem Lächeln.
Dieses Mal blieb sie zu einem einfachen Frü hstück: Sie hatte Beeren mitgebracht, Blaubeeren, Himbeeren, und mischte sie mit Joghurt und Müsli, das ich immer vorrätig hatte. Ich staunte, wie ein paar Früchte mein Standard-Frühstück aufwerteten. Es war für uns beide ein bisschen wie Theater, ein Stück gespielter Normalität, simuliertes Leben zu zweit. Aber es fühlte sich gut an.
Ein oder zweimal gingen wir aus in den nächsten Tagen, dorthin, wo wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Kollegen treffen würden. Ansonsten blieb es bei den Abenden und Nächten in meiner winzigen Wohnung, die mitunter eine Intensität erreichte, die den Gedanken nahe legte, da müsse mehr sein; doch das war es nicht, nicht für mich auf alle Fälle. Gelegentlich plagte mich deshalb ein schlechtes Gewissen, und einmal nahm ich mich zusammen und erklärte ihr, dass ich nicht vollständig bei ihr sei und das wohl auch nie sein werde. Sie fasste das anders auf, als es gemeint war, und entgegnete, sich langsam streckend: Das verstehe sie schon, ein jahrtausendaltes Geheimnis habe natürlich Vorrang vor einer dreiundzwanzigjährigen Studentin. Mehr als je zuvor widerstrebte mir all das in diesem Moment, diese Verstrickung von Wahrheit und Lüge, von Erfindung und Realität, von Wunsch und Begierde und Unredlichkeit. Ich war kurz davor, ihr zu eröffnen, was wirklich hinter der Geschichte von Sarazul und dem Circulus Finalis steckte, aber sie lachte schon wieder, lachte mich aus: Sie wisse ohnehin, dass ich nicht völlig bei ihr sei, aber die verfügbare Hälfte reiche für ihre Bedürfnisse.
Wäre ich nicht so sehr abgelenkt gewesen in dieser Zeit, dann hätte ich bemerkt, dass sich etwas tat im Umkreis der Wache, und dass mein mal mit Neugier, mal mit einer gewissen Geringschätzung betrachtetes Projekt, der Circulus Finalis, eine Eigendynamik entwickelte, die eine neue Qualität erreichte. Es war meine Logik, die fehlerhaft war: Da ich von Siad nichts hörte und es keinen Grund zu der Annahme gab, dass neue Botschaften aufgetaucht waren, nahm ich an, die Angelegenheit befände sich im Niedergang oder sei zumindest zum Stillstand gekommen. Tatsächlich, selbst der letzte Einsatz, bei dem ein Patient verstorben war, lag schon Wochen zurück. Ich erlebte Metz, wie er monierte, dass sich nichts mehr tue, dass man nicht weiterkäme; eigentlich ein obszöner Moment, denn was er unausgesprochen beklagte, war der Mangel an Todesfällen. Aber wo begann die Obszönität; schließlich hatte er früher auch geflucht, wenn die Einsatzquote seiner Meinung nach nicht ihr Soll erreichte, und letzten Endes hatte jeder schon mal einen Einsatz herbeigewünscht, aus den verschiedensten Gründen – aus Langeweile, um lästigen Routinearbeiten zu entgehen, aus Eitelkeit, was auch immer.
Ein anderes Mal trat Hä rting zu Metz, Tann und mir, um uns in seiner unaufgeregten, sachlichen Art zu erklären, dass er bei einem Einsatz im Rahmen seiner hauptamtlichen Tätigkeit in der großen Stadt einen Hinweis erhalten hätte: Auch die Johanniter wüssten vom Circulus Finalis und suchten nach dessen Geheimnis. Akkon, die alte Kreuzfahrerburg, war ihr Funkrufname; zu allem Übel waren sie evangelisch. Was das im Rahmen meiner eigentlichen areligiösen Märchengeschichte zu bedeuten hatte, die noch dazu in eine Zeit lange vor der Reformation zurückdatierte, war mir unklar, und ich weiß noch, dass ich Mühe hatte, mein Amüsement zu verbergen. Halt suchend sah ich mich um und fand nur Gelis Augen. Sie glühten vor Eifer. Schnell hatte ich mich wieder im Griff, während erörtert wurde, dass man endlich neue Erkenntnisse brauchte, um den Konkurrenten zuvorzukommen.
Nach einem langen Dienst, einer an Unterbrechungen reichen Nacht und einem stürmischen Tag, saß ich, endlich auf dem Heimweg, im Bus, als mir bewusst wurde, dass ich versehentlich den Funkmelder mitgenommen hatte. Es gab ein Reservegerät auf der Wache, und einen kurzen Moment dachte ich darüber nach, das Problem zu ignorieren. Aber ich konnte schwerlich so tun, als habe ich den Fehler nicht bemerkt, denn spätestens beim nächsten Einsatz würde ich ja sozusagen mit alarmiert werden. Also stieg ich zwei Haltestellen vor dem Ziel aus und nahm müde und entnervt den nächsten Bus zurück, während Regenstreifen die Fenster zeichneten und der Wind weiter zunahm.
Der Hof der Wache lag verlassen. Aus der Fahrzeughalle sickerte Licht. Es sah so aus,
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