Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab
Kostüm gefunden – nicht ganz so schön wie sein eigenes –, und er gab es Cirrus. Die Jacke war aus hellblauer Seide, hatte aber hier und da hässliche braune Flecke. Blut- oder Brandflecke? Cirrus konnte es nicht sagen.
»Was hast du da, Cirrus?«, fragte Bottle Top, der jetzt die Kugel am Hals des Freundes entdeckt hatte.
Hastig zog sich Cirrus ein Hemd über den Kopf, dann fuhr er in die Jackenärmel. Die neue Jacke war am Kragen ziemlich eng und unten ein bisschen zu kurz.
»Erzähl ich dir später«, sagte er gedämpft. Um das Thema zu wechseln, fragte er: »Was ist mit Ezra passiert?« Immerhin schien er dessen Kleider geerbt zu haben.
Micah sah auf. »Mach dir um Ezra keine Sorgen«, sagte er. »Der ist jetzt an einem besseren Ort.« Er rollte die Augen himmelwärts. »An einem viel besseren Ort.«
Die anderen Jungen lachten und zupfen an ihren Haaren.
»Ezra ist nicht wichtig«, sagte Bottle Top und nahm ihn am Arm. »Jetzt bist du hier.«
Er gab Cirrus ein Paar fast saubere Strümpfe, und sobald er mit Anziehen fertig war, ging Bottle Top mit ihm die Treppe hinunter.
»Normalerweise kostet eine solche Runde eine halbe Guinea«, sagte er, als er Cirrus in den ersten der vielen Museumsräume unten führte. »Aber für dich mach ich gern eine Ausnahme.« Er zwinkerte.
Cirrus folgte ihm neugierieg und voller Erwartung, was es in diesem Museum zu sehen gäbe.
In den nächsten zwei Stunden führte Bottle Top ihn durch das Haus der Wunder.
Jeder Raum war spektakulärer als der vorherige. Da gab es Donnerkeile, Hämatite, Schlangensteine und Achate; Seefedern, Seelilien und Korallen; Skorpione, Skarabäen und leuchtende Käfer. Noch nie hatte Cirrus so viele Tiere und Dinge gesehen. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass die Welt so bunt und vielfältig sein konnte. Sämtliche Schätze, die überhaupt bekannt waren, schienen hier versammelt und in Regalen ausgestellt.
Und dann kamen sie zu einem dunklen Raum im hinteren Bereich des Museums. Ein muffiger Geruch nach Fäulnis hing in der Luft.
»Das sind Zehennägel vom Teufel«, erklärte Bottle Top und zeigte auf eine Vitrine voller spiralförmiger Versteinerungen. »Sie stammen aus der Zeit, als die Erde von der Sintflut überschwemmt war. Und das hier«, sagte er vor einem Schaukasten mit langen feuersteinhaltigen Speerspitzen, »sind Elfenpfeile. Zumindest sagt das Mr Leechcraft.«
Cirrus sah ihn an. »Woher weiß Mr Leechcraft das alles?«, fragte er. »Ist er in all diesen fernen Ländern gewesen?«
Er tastete nach der Kugel an seinem Hals. Ob sein Vater etwas Ähnliches gewesen war? Forscher oder Naturphilosoph vielleicht? Gerade wollte er Bottle Top davon erzählen, da sah er in der Ecke des nächsten Raumes einen dicken schwarzen Vorhang, hinter dem sich eine Treppe verbarg.
»Was ist da unten?«, fragte er und wunderte sich, dass er plötzlich eine Gänsehaut bekam. Ein übler Geruch – so ähnlich wie Mr Leechcrafts Atem – stieg ihm in die Nase.
Bottle Top zögerte und schob ihn von der Treppe weg.
»Der Experimentierraum. Mr Leechcraft führt dort seine Versuche mit Elektrizität vor«, sagte er. »Da darfst du nicht runter. Wenigstens jetzt noch nicht. Er wird dir bald alles erklären. Komm weiter, ich will dir die Köpfe zeigen.«
Cirrus folgte Bottle Top zu einer Vitrine, in der Köpfe und Masken ausgestellt waren.
»Die finde ich am besten«, sagte Bottle Top. Er deutete auf eine Reihe eingeschrumpfter Schädel und zog eine Grimasse.
Cirrus starrte die hässlichen verzerrten Gesichter an. Augen und Münder waren mit Fädchen aus Haaren zusammengenäht, und durch Ohrläppchen und Nasen waren Stacheln und Federn gesteckt.
»Gruselig, wie?«, sagte Bottle Top fröhlich grinsend.
»Zuerst wird das Gehirn rausgenommen und die Haut getrocknet. Dann füllen sie Kieselsteine rein, damit die Form erhalten bleibt …«
Wieder war Cirrus betroffen von dem Wandel, den sein Freund durchgemacht hatte, nicht nur von dessen neuem äußeren Erscheinungsbild, sondern auch von seinem ungewohnten Verhalten, seinem Selbstbewusstsein und seiner Eitelkeit. »Was ist mit deinen Zähnen passiert?«, fragte er.
Bottle Top sah weg und tastete verstohlen über seine geschwollenen Lippen. »Mr Leechcraft hat mich zum besten Zahndoktor in der Gegend gebracht«, sagte er schließlich. »Mr Crucius Fang.«
Cirrus presste unwillkürlich die Hand an den Mund. »Hat es wehgetan?«, fragte er. Er konnte sich nur ausmalen, wie es gewesen sein könnte –
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