City of Lost Souls
erneut; er saß am Rand der Sitzbank, gegen die kunstvoll geschmiedete Seitenlehne gestützt und einen Arm auf der Rückenlehne der Bank. Auf seinem Schoß – dort, wo Clary gerade noch gelegen hatte – befand sich sein zusammengefalteter Schal. Sebastian hatte sein weißes Hemd aufgeknöpft, um die Dämonenflecken darauf zu verbergen; darunter trug er ein schlichtes graues T-Shirt. Das silberne Armband glitzerte an seinem Handgelenk. Seine schwarzen Augen musterten Clary belustigt, als sie hastig von ihm fortrutschte. »Ein Glück, dass du so zierlich bist«, bemerkte er. »Wenn du viel größer wärst, hätte es ziemlich anstrengend werden können, dich durch die Gegend zu schleppen.«
Clary bemühte sich um eine ruhige Stimme: »Wo sind wir?«
»Im Jardin du Luxembourg«, erklärte Sebastian. »Eine der Pariser Parkanlagen – wirklich schön hier. Ich musste dich ja irgendwohin bringen, wo du dich ausruhen konntest. Dich mitten auf der Straße liegen zu lassen, schien mir keine gute Idee zu sein.«
»Ja, dafür gibt’s ein Wort … wenn man jemanden mitten auf der Straße liegen und sterben lässt: Fahrerflucht mit fahrlässiger Tötung.«
»Das sind vier Worte und soweit ich weiß, ist es nur dann tatsächlich Fahrerflucht, wenn man den Betreffenden persönlich überfahren hat.« Sebastian rieb sich die Hände, als wollte er sie wärmen. »Aber davon mal abgesehen: Warum sollte ich dich mitten auf der Straße sterben lassen, nachdem ich mir so viel Mühe gemacht habe, dir das Leben zu retten?«
Clary musste schlucken und warf einen Blick auf ihren Arm. Die Wunden waren inzwischen noch weiter verblasst. Wenn man nicht genau wusste, wo der Dämonententakel sie erwischt hatte, würde man die Stellen wahrscheinlich überhaupt nicht mehr erkennen. »Und warum hast du das getan?«
»Warum hab ich was getan?«
»Mir das Leben gerettet.«
»Du bist meine Schwester.«
Erneut musste Clary schlucken. In der Morgendämmerung hatte Sebastians Gesicht etwas mehr Farbe bekommen. Verblassende Brandwunden schimmerten an seinem Hals, dort, wo das Dämonensekret ihn getroffen hatte. »Du hast dich doch bisher nicht dafür interessiert, dass ich deine Schwester bin«, sagte sie leise.
»Ach nein?« Seine schwarzen Augen musterten sie von Kopf bis Fuß.
Plötzlich erinnerte Clary sich wieder daran, wie Jace sie nach dem Angriff des Ravener in ihrem Elternhaus gefunden hatte. Der Dämon hatte sie mit seinem tödlichen Giftstachel erwischt und Jace hatte sie geheilt – genau wie Sebastian – und sie auf dieselbe Weise an einen sicheren Ort getragen. Vielleicht ähnelten Jace und Sebastian einander ja doch mehr, als sie wahrhaben wollte – und zwar schon seit Langem, noch bevor Liliths Beschwörungsformel die beiden miteinander verbunden hatte.
»Unser Vater ist tot«, sagte Sebastian. »Andere Verwandte gibt es nicht. Du und ich, wir sind die letzten. Die letzten der Familie Morgenstern. Du bist meine letzte Chance, jemanden zu finden, in dessen Adern dasselbe Blut fließt wie in meinen.«
»Du hast gewusst, dass ich dir gefolgt bin«, stellte Clary fest.
»Selbstverständlich.«
»Und du hast mich nicht daran gehindert.«
»Ich wollte sehen, wie weit du gehen würdest. Und ich muss gestehen, ich hatte nicht damit gerechnet, dass du mir die Treppe hinunter folgen würdest. Du bist mutiger, als ich dachte.« Er nahm den Schal, der noch immer auf seinem Schoß lag, und wickelte ihn sich um den Hals. Der Park füllte sich allmählich mit Besuchern: Touristen mit Stadtplänen in den Händen, Eltern mit kleinen Kindern im Schlepptau, alte Männer, die sich auf den anderen Bänken niederließen und eine Pfeife rauchten. »Aber diesen Kampf hättest du niemals gewinnen können«, fügte Sebastian hinzu.
»Vielleicht ja doch.«
Er grinste, ein kurzes schiefes Grinsen. »Vielleicht.«
Clary streifte mit ihren Stiefeln durch das taufeuchte Gras unter der Bank. Sie würde sich bei Sebastian nicht bedanken. Für gar nichts. »Warum gibst du dich mit Dämonen ab?«, fragte sie stattdessen fordernd. »Ich hab gehört, wie sie über dich geredet haben. Ich weiß, was du vorhast … «
»Nein, das weißt du nicht.« Sebastians Grinsen war schlagartig verschwunden und in seinem typischen, überheblichen Ton fuhr er fort: »Erstens waren das nicht die Dämonen, mit denen ich Kontakt hatte, sondern lediglich ihre Wachen. Deshalb befanden sie sich in einem anderen Raum und deswegen war ich auch nicht dort. Dahak-Dämonen sind
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