Clancy, Tom
Amerikaner wussten wenigstens, was ein anständiges
Trinkgeld war, aber die meisten Europäer hatten keine Ahnung.
Ibrahim
Salih al-Adel war voll akklimatisiert. Sein Französisch war so gut, dass die
Pariser Probleme hatten, seinen Akzent zu bestimmen, und er ging wie jeder
andere Einwohner durch die Straßen und glotzte nicht alles und jedes an wie ein
Affe im Zoo. Seltsamerweise fühlte er sich jedoch immer noch besonders vom Anblick
der Frauen gestört. Wie sie in ihren modischen Klamotten daherstolzierten! Oft
trugen sie schicke Lederhandtaschen, aber gewöhnlich recht bequeme Gehschuhe,
weil die Leute hier mehr zu Fuß und weniger mit dem Auto unterwegs waren.
Wahrscheinlich, um sich häufiger zur Schau stellen zu können, dachte er.
Sein
Arbeitstag war routinemäßig verlaufen, er hatte vor allem Videos und DVDs
verkauft, hauptsächlich amerikanische Spielfilme, französisch synchronisiert
oder mit Untertiteln - damit konnten seine Kunden ihr Schulenglisch
aufbessern. (Die Franzosen mochten zwar alles Amerikanische verachten, aber ein
Film war eben ein Film, und sie liebten das Kino mehr als die meisten anderen
Völker.)
Nun würde
er also morgen damit beginnen, sein Team zusammenzustellen und die Mission
genauer zu planen. Es war entschieden leichter, darüber beim Abendessen zu
diskutieren, als es dann tatsächlich zu bewerkstelligen. Aber er hatte
gründlich darüber nachgedacht, allerdings hauptsächlich im stillen Kämmerchen
und nicht draußen im Feld. Manches ließ sich hier erledigen, über das Internet,
aber das waren nur allgemeine Dinge. Die Besonderheiten ihrer Ziele ließen sich
nur direkt vor Ort erkunden, aber was immer sie schon jetzt erledigen konnten,
würde ihnen in der Zukunft kostbare Zeit sparen. Gewisse logistische Elemente
waren bereits erledigt; sie hatten einen Informanten in der Einrichtung, der
sich bisher als sehr solide und zuverlässig erwiesen hatte.
Aber was
genau brauchte er für die Mission? Ein paar Leute. Nur Gläubige. Vier?
Keinesfalls mehr. Einer musste ein Sprengstoffexperte sein. Autos, die nicht
ohne Weiteres zurückverfolgt werden konnten - kein Problem. Gute
Sprachkenntnisse. Ihr Aussehen musste zur Rolle passen, was angesichts des
Zielortes ebenfalls kein großes Problem sein würde, schließlich konnten die wenigsten
Leute die verschiedenen Hauttönungen richtig zuordnen, und er selbst sprach
Englisch ohne starken Akzent, also würde auch das kein Problem sein.
Am
wichtigsten war jedoch, dass jedes einzelne Teammitglied ein wahrer Gläubiger
sein musste. Bereit zu sterben. Bereit zu töten. Ein Außenstehender würde wohl
eher vermuten, dass ihnen das Sterben wichtiger war als das Töten. Nun gab es
zwar viele, die bereit waren, ihr Leben zu opfern, aber das Opfer erforderte
doch einen bestimmten Zweck, der ihr Anliegen voranbrachte. Sie hielten sich
für heilige Krieger auf der Suche nach ihren 72 Jungfrauen, aber in
Wirklichkeit waren sie nur junge Männer mit schlechten Lebenschancen. Doch der
Glaube bot ihnen einen Weg zur Anerkennung und Größe, die sie ohne ihn niemals
erreichen konnten. Bemerkenswert, dass sie zu dumm waren, um selbst das zu
durchschauen! Aber aus genau diesem Grund war er der Führer, und sie waren nur
seine Gefolgsleute.
Selbst wenn sie noch nie in dem Motel gewesen wäre, hätte sie wenig Probleme gehabt, es zu finden: Es stand direkt an einer Straße, die
die Ortschaft Beatty ziemlich großspurig »Main Street« nannte — in Wirklichkeit
kaum mehr als eine Lücke von einem dreiviertel Kilometer Länge, auf der die
Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 Kilometern pro Stunde galt und die sich
zwischen den Highways 95 und 374 erstreckte.
Das Hotel
selbst - das »Motel 6 von Death Valley« - hatte trotz seines äußeren
Erscheinungsbildes relativ saubere Zimmer, die nach Desinfektionsmitteln rochen.
Sie hatte schon Schlimmeres gesehen, und sie hatte ihre ... speziellen Künste
auch schon in schlimmeren Räumlichkeiten praktiziert. Und mit schlimmeren Männern
gegen schlechtere Bezahlung. Wenn überhaupt, machte ihr höchstens der Name ein
bisschen Schwierigkeiten.
Von Geburt
war Allison eine Keräschen-Tatarin. Ihr wirklicher Name lautete Aysilu, was in
der tatarischen Sprache ungefähr Schönheit des Mondes bedeutet. Von ihren
Eltern und Vorfahren hatte sie eine gesunde Hochachtung vor jedem - verhüllten
oder offenkundigen — Omen geerbt, und wenn sich ein solches Haus als »Motel 6
vom Tal des Todes« bezeichnete, dann
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