Clancy, Tom
»Absolute Funkstille.«
Was zu
erwarten war, dachte Clark. Jeder, dem es gelang, dermaßen schnell in das
Gelände einzudringen und dabei vier Fallskärmsjägares umzulegen, war auch klug
genug, sofort den Nachrichtenraum zu besetzen.
»Bisher
hat noch niemand die Verantwortung übernommen?«, fragte Chavez.
»Noch
niemand, aber das wird nicht lange dauern, vermute ich. Bisher haben die Libyer
die Presse außen vor gehalten, aber es ist leider nur eine Frage der Zeit, bis
etwas nach draußen dringen wird.«
In dem ganzen
Mischmasch von Terrorgruppen im Nahen und Mittleren Osten bekannten sich meist
mehrere Organisationen gleichzeitig zu einem größeren Anschlag. Dabei ging es
nicht einmal immer ums Prestige. Vielmehr wollten sie dadurch die gegnerischen
Nachrichtendienste verwirren. Es war vergleichbar mit dem, was
Mordkommissionen bei wichtigen Tötungsdelikten erlebten. Dabei tauchten ja auch
immer Dutzende von angeblichen Tätern auf, die aus Verrücktheit oder Geltungssucht
die Tat gestanden. Trotzdem musste jeder einzelne von ihnen ernst genommen
werden, damit einem nicht doch der echte Mörder durch die Lappen ging.
Dasselbe galt für Terroristen.
»Und es
gibt noch keine Forderungen, nehme ich an?«, fügte Clark hinzu.
»Bisher
nicht.«
Tatsächlich
wurden in vielen Fällen keine Forderungen erhoben. Im Nahen und Mittleren
Osten wollten die meisten Geiselnehmer nur möglichst große internationale
Aufmerksamkeit erregen, bevor sie die Leute umzubringen begannen, wobei sie
ihre Beweggründe und Absichten oft verspätet nachlieferten. Für Clark und sein
Team machte das zwar keinen Unterschied, aber solange kein Regierungsbeamter
das Startzeichen gab, war Rainbow wie alle anderen Spezialeinheiten von den Entscheidungen
und Erwägungen der Politik abhängig. Erst wenn die Politiker davon überzeugt
waren, dass es in einem bestimmten Fall angebracht war, die eigenen Kriegshunde
von der Leine zu lassen, durfte Rainbow das erledigen, was es am besten konnte.
»Jetzt
kommen wir zum kniffligen Teil«, sagte Stanley.
»Der
Politik«, riet Clark.
»Ganz
recht. Wie ihr euch vorstellen könnt, will unser Freund, der Oberst, seine
Dschamahirija-Garde hineinschicken. Tatsächlich hat er sie bereits in
Bereitschaft versetzt und in der Nähe der Botschaft postiert, aber der
schwedische Generalkonsul ist nicht gerade begeistert von dieser Idee, was
angesichts der Einsatzregeln der Dschamahirija auch nicht weiter erstaunlich
ist.«
Die
Dschamahirija-Garde war im Wesentlichen Oberst Muammar al-Gaddafis persönliche
Sondereinsatztruppe. Sie bestand aus etwa 2 000 Mann, die alle aus seiner
Heimat, der Surt-Region in Libyen, stammten. Clark wusste, dass dies gute Leute
waren, die über ihre eigene Logistik und Nachrichtenabteilung verfügten. Allerdings
war die Dschamahirija nicht gerade für ihr behutsames Vorgehen bekannt.
Materielle oder menschliche Kollateralschäden kümmerten sie herzlich wenig.
Wenn diese Truppe die Botschaft stürmen sollte, würden die Schweden einen
Gutteil des Personals in der Botschaft verlieren.
Ein interessanter Bastard, dieser Gaddafi, dachte
Clark. Wie die meisten amerikanischen Geheimdienstler hatte er seine Zweifel,
was Gaddafis frappierende Charakterwandlung vom bösen Buben Nordafrikas zu
einem Menschenfreund und Terrorismusgegner anging. Schon in der Bibel stand ja
bei Jeremia: »Ändert denn ein Leopard seine Flecken?« Dies mochte vielleicht
ein Klischee sein, aber für Clark war Oberst Muammar Abu Minyar al-Gaddafi, der
»brüderliche Führer und Wegweiser der Revolution«, ein Leopard durch und durch,
und dies bis zu dem Tag, an dem er auf natürliche oder nicht ganz natürliche
Weise das Zeitliche segnen würde.
Im Jahr
2003 hatte die libysche Regierung auf Anordnung Gaddafis den Vereinten
Nationen mitgeteilt, dass sie bereit sei, die Verantwortung für den Bombenanschlag
auf den Pan-Am-Flug 103 über Lockerbie 15 Jahre zuvor zu übernehmen und den
Familien der Opfer fast drei Milliarden Dollar Entschädigung zu zahlen. Diese
Geste wurde nicht nur von der westlichen Presse sofort bejubelt, sondern führte
auch zur Aufhebung der Wirtschaftssanktionen und zu diplomatischen Avancen von
Seiten zahlreicher europäischer Länder. Der Leopard ging noch einen Schritt
weiter, indem er seine Waffenprogramme von internationalen Inspektoren
überprüfen ließ und die Anschläge vom 11. September verdammte.
Clark
vermutete jedoch, dass Gaddafis Sinneswandel kein Zeichen von Altersmilde
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