Clancy, Tom
fünf Sekunden von dem Zeitpunkt, an dem der
Wärter die Frau aus ihrem Sitz holte, bis zu dem Moment, als ihn Andreas
Kopfschuss fällte —, liefen sie in Jacks Erinnerung wie in Zeitlupe ab, was
vermutlich völlig normal war. Das Publikum war derart schockiert gewesen, dass
tatsächlich nur ein paar Leute aufgeschrien hatten, und sie alle hatten in
unmittelbarer Nähe der Stelle gesessen, wo der Attentäter schließlich
erschossen wurde.
Jack
selbst wusste, dass er sich nicht bewegen durfte, und hatte an der Westwand
gewartet, bis Andreas Agenten und die privaten Sicherheitskräfte das
Auditorium geräumt hatten. Umringt von seinen Leibwächtern, hatte sich sein
Vater bereits außerhalb der Bühne befunden, als Andrea den Schuss abgab.
»Das ist
egal«, sagte Ryan. »Danke.«
Es war ein
seltsamer Augenblick, der sich zu einem fast peinlich langen Schweigen
ausdehnte. Jack jr. brach es schließlich. »Macht Angst, so was, nicht wahr?«
Ryan sr.
nickte. »Warum bist du eigentlich noch einmal zurückgegangen - ich meine, um
den Hausmeister zu überprüfen?«
»Als ich
ihn zum ersten Mal sah, versuchte er, das Bürstenpad einer Bohnermaschine zu
wechseln. Mit einem Schraubenzieher«, erklärte Jack. »Dazu braucht man aber
einen Gabelschlüssel.«
»Hm. Ich
bin wirklich beeindruckt, Jack.«
»Von dem
Schraubenzieher?«
»Zum Teil.
Und teilweise auch, weil du nicht in Panik geraten bist. Und dass du dann die
Sache den Profis überlassen hast. Acht von zehn Leuten hätten das mit der
Bohnermaschine gar nicht bemerkt. Die meisten wären in Panik geraten oder
erstarrt. Die übrigen hätten womöglich versucht, den Burschen selbst zu
greifen. Du hast alles richtig gemacht, von Anfang bis Ende.«
»Danke.«
Ryan sr.
lächelte. »Und jetzt müssen wir uns noch mit der Frage befassen, wie wir das
deiner Mutter beibringen ...«
Das Flugzeug kam nicht weit. Seine Bugräder hatten beim Wenden
noch nicht einmal das Vorfeld der Startbahn erreicht. Es gab keine Erklärungen
für die Passagiere. Eine Stewardess kam auf Clark und Chavez zu und bat sie
mit einem starren, eingefrorenen Lächeln, wie es nur professionelle
Flugbegleiter zustande bringen: »Würden Sie bitte mitkommen?« Das Lächeln
zeigte Clark, dass sie sich auf keinerlei Diskussion einlassen würde.
»Hast du
vergessen, einen Strafzettel zu bezahlen, Ding?«, fragte John seinen
Schwiegersohn.
»Ich doch
nicht, Mano. Ich bin
ein anständiger Mensch.«
Beide
gaben ihren Frauen noch einen Kuss auf die Wange und meinten, sie sollten sich
keine Sorgen machen. Dann folgten sie der Stewardess durch die Kabine zur
Flugzeugtür, die bereits wieder geöffnet worden war. In der Fluggastbrücke
wartete ein Beamter des Londoner Metropolitan Police Service auf sie. Am
schwarz-weißen Schachbrettmuster auf der Mütze des Mannes erkannte Clark, dass
er es hier nicht mit einem gewöhnlichen Streifenpolizisten zu tun hatte, und
das Abzeichen auf seinem Polizeipullover zeigte, dass er zum SCD11, der
nachrichtendienstlichen Abteilung des Specialist Crime Directorate von Scotland
Yard, gehörte.
»Es tut
mir leid, dass ich Ihre wohlverdiente Heimreise unterbrechen muss, Gentlemen«,
sagte der Beamte, »aber gewisse Leute halten Ihre Anwesenheit für zwingend
erforderlich. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«
Neben dem
Fahren auf der falschen Straßenseite und der Tatsache, dass die Pommes frites
hier »Chips« hießen, würde sich Clark nie an diese formellen britischen Umgangsformen
gewöhnen, wie sie vor allem bei den höheren Rängen üblich waren. Sicherlich
war Höflichkeit immer besser als Grobheit, aber es nervte ihn etwas, von einem
Typen auf diese leicht gestelzte Weise angesprochen zu werden, der
wahrscheinlich mehr böse Buben getötet hatte, als die meisten Menschen in ihrem
ganzen Leben sehen würden. Clark hatte hier Männer kennengelernt, die einem in
allen Einzelheiten erklären konnten, wie sie jemanden mit einer Gabel
erstechen, sein Blut trinken und ihn dann häuten würden - das Ganze jedoch
klang stets wie eine Einladung zum Nachmittagstee.
Clark und
Chavez folgten dem Polizisten über die Fluggastbrücke zurück ins Terminal und
durch verschiedene Sperren. Schließlich betraten sie durch eine kartengesicherte
Tür das Sicherheitszentrum von Heathrow. Dort führte man sie in einen kleinen
Konferenzraum, wo im kalten Licht der Leuchtstofflampen Alistair Stanley, der
offiziell immer noch der stellvertretende Kommandeur von Rainbow war, an einem
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