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Clara

Clara

Titel: Clara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koller
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Trost. Meine beiden Katzen
waren alles, was geblieben war. Der Rest war bloß noch schmerzliche Erinnerung.
    Ich nahm
einen tiefen Schluck aus der Flasche und lauschte weiter Mozarts Genie. Schloss
die Augen und begann, über mein Leben, meine Existenz, meinen Sinn, meine
Zukunft nachzudenken. Ich hatte einen miesen Job, der gerade den Tariflohn
abwarf, lebte in einem von meinen Eltern vererbten Haus, das immer mehr verfiel
und vereinsamte zusehends.
    Ich hatte
genug von den Menschen. Den Freundschaften, den Enttäuschungen, die sie ständig
bereithielten. Etwas Dunkles, Finsteres hatte sich nach und nach in meine Seele
geschlichen und breitete sich dort aus wie ein endlos langes, wallendes Tuch,
das alles verdeckte, was einmal Bestand hatte. Die Uhr tickte. Die Zeit rückte
näher, wann all das unerträglich wurde und mein kleines Geheimnis ihre
Bestimmung erfüllte.

 
    6

 
    Clara
lächelte selbstbewusst in die Kamera. Divenartig setzte sie ihr blondes,
langes, wallendes Haar in Szene, spielte verführerisch mit ihren Lippen und
sprühte einen Hauch von Sex in den Äther. Auf diese Gelegenheit hatte sie lange
gewartet. Sich abzuheben von der restlichen Nobelgesellschaft, in der sie sich
bewegte. Clara war nicht zum ersten Mal im Fernsehen zu bewundern, aber ein
Interview im Societymagazin des Staatsfernsehens war
wie der Aufstieg in eine ganz neue Liga. Die Berichterstatter waren schon seit
Längerem an ihr interessiert. Der Durchbruch der Industriellentochter Clara
Bergmann als umschwärmtes Partygirl stand kurz bevor. Und sie würde sich diese
Chance nicht entgehen lassen. Was sie von sich gab, spielte letztlich keine
Rolle. Es war belanglos. Sie musste nur gut aussehen. Und das tat sie. Ja, das
tat sie ganz gewiss. Der Reporter, der das Gespräch mit Clara geführt hatte,
verabschiedete sich verträumt von ihr und zog mit seinem Team ab. Sie hatten
alles im Kasten. Weitere Partys waren im Gange. Aber Clara Bergmann hatte Eindruck
hinterlassen. Ihre aufreizendes, aber dennoch elegantes silbernes Kleid, die
teuren Schuhe und Accessoires, ihr dezentes Make-up, ihr wunderschönes Haar.
Dieses engelhafte Gesicht, dieser Blick, der etwas ganz anderes versprach.

 
    7

 
    Ich fuhr
nach der Arbeit auf direktem Weg nach Hause. Zu wütend, um die Gesellschaft
weiterer Menschen zu ertragen. Ihre Anwesenheit während meines
Neun-Stunden-Tags hatte vollends gereicht. Die ständigen Schikanen störten mich
nicht. Im Gegenteil. Sie bestärkten mich in meinen Gedanken. Was mich störte,
war die Art und Weise, wie mit Nichtprivilegierten verfahren wurde. Friss oder
stirb. Der eine verkroch sich, der andere fuhr die Ellbogen aus. Verteidigte
seine eigene erbärmliche Existenz. Aber zu welchem Preis? Zu immer größerer
Abhängigkeit gegenüber einem Arbeitgeber, der in seiner Villa saß und auf dem
Ameisenhaufen herumtrampelte, wann es ihm beliebte. Die Gesellschaft riss immer
mehr entzwei. Schuf Slums und Biotope. Produzierte Elend und verkaufte Glück.
Nur wenige Meter voneinander entfernt. Und doch getrennt wie fremde Welten. Ich
zündete die Flamme am Gasherd und setzte Wasser auf. Wieder kamen die
Erinnerungen in mir hoch. So oft hatten wir gemeinsam gekocht, gelacht, unser
Leben gelebt. Einfach und bescheiden. Und doch unendlich glücklich. Ich
schaltete den Fernsehapparat ein, während ich meine Mahlzeit zubereitete. Eine
Sendung über irgendwelche VIPs lief auf Kanal 1. Ach, wie ich diese Parasiten
mit ihren schicken Kleidern, ihren SchönheitsOPs ,
ihren fetten Autos und noch fetteren Brieftaschen hasste. Ich griff zur
Fernbedienung, als sie plötzlich am Bildschirm erschien. »Clara Bergmann,
Industriellentochter« wurde kurz eingeblendet. Bergmann. Wie sehr ich diesen
Namen verachtete. Eine unbändige Wut kroch in mir hoch. Ich empfand ein Gefühl,
das Hass als etwas Schönes definieren würde. Ein Gefühl, das Grausamkeit nicht
beschreiben konnte. Ich registrierte nicht, was sie sagte. Ich registrierte gar
nichts um mich herum. Nur dieses Gesicht brannte sich in mir ein. Dieses
Gesicht, das mich aufs Niederträchtigste verhöhnte. Dieses Gesicht, das alles
an mir verabscheute. Mir das Recht zu leben absprach. Ich konnte das nicht
zulassen. Nicht dieses wunderschöne Gesicht, das für mich eine Fratze aus dem
tiefsten Schlund der Hölle war.

 
    8

 
    Clara legte
ihr Designerhandy beiseite. Das war nun schon der zwölfte Anruf seit der
Ausstrahlung ihres Interviews gewesen. Und eine Stunde war noch nicht

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