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Clara

Clara

Titel: Clara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koller
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nun
befinden und werde versuchen, Nachsicht zu üben. Reizen Sie mich jedoch nicht.
Sie würden es bereuen. Nun zu einigen organisatorischen Dingen. Zwischen zehn
Uhr abends und sechs Uhr morgens erhalten Sie keinen Strom. Also auch kein
Licht und keine Wärme. Nach jedem Toilettengang streuen Sie etwas Sand über
Ihre Verrichtung. Ist der Zylinder voll, schieben Sie ihn durch die
Gitterstäbe. Sand und weitere Zylinder befinden sich direkt hinter der
Toilette. Achten Sie auf die Hygiene. Sollten Sie krank werden – ich bin kein
Arzt. Und werde auch keinen rufen. Im Kasten neben dem Kleiderschrank befindet
sich unter anderem ein kleiner Heizstrahler, den Sie in eine der beiden
Wandsteckdosen einstöpseln können. Und Reinigungsutensilien. Halten Sie diesen
Raum sauber. Ihre Putzfrau wird es bestimmt nicht tun. Überschüssiges Wasser
leeren Sie in den Ausguss unterhalb der Wasserbehälter. Wie gesagt, seien Sie
sparsam damit. Zum Zeitvertreib finden Sie im Schrank mit den Reinigungsmitteln
einige Bücher und DVDs . Alles Weitere werden wir
erörtern, wenn ich Ihnen Nachschub bringe. Falls ich dann noch Lust dazu habe .«
    Clara
faltete das Blatt und steckte es zurück in den Umschlag. Sie wusste nicht, ob
sie gerade beobachtet wurde. Nicht das geringste Geräusch war zu vernehmen.
Wahrscheinlich war der Raum schalldicht isoliert. In einem Punkt war sie sich
ziemlich sicher. Die Kameras liefen auf Bildschirme irgendwo da oben. Waren
aber nicht online. Das wäre zu gefährlich gewesen. Und anhand der Nachricht
musste sie davon ausgehen, es mit einer umsichtigen Person zu tun zu haben. Wie
konnte man unbehelligt ein Gefängnis bauen? Wie konnte man einen Menschen
direkt vor seinem Haus entführen? Hier spielten offenbar Fanatismus und
Intelligenz zusammen. Also hatte sie es mit einem Psychopathen zu tun. Dieser
Gedanke erschreckte Clara bis ins Mark. Aber was gab es sonst für Alternativen?
Er stellte keinerlei Forderungen und schwor sie offensichtlich auf einen
längeren Aufenthalt ein. Der Brief war sehr sachlich gehalten, die Anrede
höflich. Er sah also den Menschen in ihr. Das war ermutigend.
    Dennoch
drohte er ihr auch. Und gab mit der »Putzfrau« einen Seitenhieb auf ihre
Herkunft. »Er verachtet mich«, schoss es Clara durch den Kopf. Nun, das beruhte
ja wohl auf Gegenseitigkeit. Und es handelte sich um einen Mann. Einen
einzelnen Mann. Clara las das Papier nochmals, um vielleicht weitere
Erkenntnisse über den Verfasser zu erlangen. Doch da war nichts mehr. Ein
einzelner, ziemlich sicher männlicher Entführer, intelligent, der sie
verachtete und kein Arzt war. Offensichtlich jedoch einen benötigte. Jemanden,
der sein krankes Hirn wieder in Ordnung brachte. Sie erhob sich vom Stuhl und
überlegte, was sie nun tun sollte. Ihr BlackBerry war
weg. Gitter, Beton und Stahltüren trennten sie von der Welt. Was blieb, waren
diese paar Quadratmeter Hölle. Sie setzte sich aufs Bett und begann zu weinen.
Legte ihren Kopf in ihre Hände und schluchzte hemmungslos. Sie war am Boden
zerstört. Instinktiv schrie sie nach ihrer Mutter. Einer Mutter, die sie nie
geliebt hatte. Und von der sie nie Liebe erfuhr. Stets waren Kindermädchen
zwischen ihnen gestanden. Hatten die Nähe, die Wärme, die Berührung verhindert.
Was blieb, waren Kälte und Entfremdung. Doch nun rief sie nach diesem Schutz,
dieser Geborgenheit.
    »Mama, Mama,
bitte hilf mir !« Doch es war zu spät. Mama war nicht
hier. Mama war schon lange gegangen. Nur die Hülle, der Schatten, der Wunsch
waren von ihr geblieben. Und die Einsamkeit.

 
    4

 
    Das Licht
ging an und riss Clara abrupt aus ihren verworrenen Träumen. Der siebente Tag
seit der Entführung war angebrochen. Silvester. Aber was bedeutete das alles
schon? Weihnachten, Silvester, Neujahr. Nichts davon war mehr real. Bloß noch
Fiktion in einem Leben, das keines mehr war. Sie rollte sich aus der kratzigen
Decke und lief zum Heizlüfter, den sie augenblicklich einschaltete. Es war
während der Nacht entsetzlich kalt geworden. Wie in jeder Nacht. Bibbernd
setzte sie sich davor und ließ die warme Luft auf sich zuströmen. Die Nächte
waren kaum erträglich. Der Frost, der langsam aufkam und in ihre Knochen
schlich. Der unruhige, beinahe apathische Schlaf. Erst gegen Morgen wurde es
aufgrund der Müdigkeit etwas besser. Doch da brachte sie das grelle Licht auch
schon wieder in ihre Welt zurück. Ihr Peiniger, den sie noch immer nicht
gesehen hatte, trieb ein perfides Spiel mit ihr. Es waren

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