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Clara

Clara

Titel: Clara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koller
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sie den Kopf von mir abwandte.
    »Ich werde
hier nicht mit Ihnen diskutieren. Niemals. Nicht mit I-h-n-e-n!« Ich versuchte,
das letzte Wort so abwertend und angewidert wie nur irgendwie möglich
auszudrücken. »Haben Sie verstanden ?« Clara nickte
heftig mit dem Kopf. Ich sah die Gänsehaut in ihrem Nacken. »G-u-u-u-t«,
flüsterte ich im tiefen Bass direkt in ihr Ohr. Sie zuckte zusammen. Ich ging
zurück zur Wasserwanne, leerte den Inhalt vorsichtig in den Ausguss und
befüllte das Becken neu. Anschließend verstaute ich die neuen Wasserbehälter,
füllte den Toilettensand auf und packte die Lebensmittel in den Schrank. Den
Rest stellte ich, in einem Karton gesammelt, auf den Tisch. Schließlich holte
ich einen alten Wäschekorb aus der Schleuse und warf gebrauchte Handtücher
sowie getragene Kleider hinein. Dann verließ ich die Zelle und schloss die Tür
ab. Ich öffnete die Handschellen. Clara wich sofort zurück und umfasste ihre
Handgelenke. Ich ging mit dem Korb in der Hand zur Stahltür und wandte mich,
dort angelangt, nochmals um.
    »Wir werden
uns morgen unterhalten«, versprach ich zum Abschied. »Und vergessen Sie nicht,
hier aufzuräumen .« Dann verschwand ich in der
Schleuse. Clara war stärker, als ich vermutet hatte. Nach einer Woche totaler
Einsamkeit hatte ich eigentlich ein seelisches Wrack erwartet. Eine willenlose
Kreatur, die bereit war, alles zu tun. Ich stieg die Wandleiter hoch, stieß die
Bodenklappe auf und beschloss, sie noch eine Zeit lang am Monitor zu
beobachten. Ich war faszinierter denn je. Und entschlossener.

 
    2

 
    Clara atmete
tief durch, als er den Raum verlassen hatte. Sie setzte sich und ließ die
letzte Viertelstunde nochmals vor ihrem geistigen Auge ablaufen. Zumindest den
Teil, den sie bewusst erlebt hatte. Sie wurde nicht schlau daraus. Was wollte
dieser Mann nur? Das war die einzige dürftige Frage gewesen, die sie
herausgebracht hatte. Eine Frage von so vielen. Zu groß war ihre Angst gewesen.
Zu stark die Erschütterung nach seinem bizarren Erscheinen.
    Was war das
nur für ein Mensch? Er war finster, gemein. Mit einem ausgeprägten Sinn für
schwarzen Humor. Sie fürchtete sich vor ihm. Aber nicht so wie vor einem
tollwütigen Monster. Zu subtil war alles, was ihn umgab. Sein Auftreten flößte
Respekt ein. Das war kein gewöhnlicher Irrer. Aber was nutzte ihr das schon? Er
hielt sie hier gefangen. Trampelte auf ihr herum. Ihr, Clara Bergmann. Immerhin
hatte er ihr keine Gewalt angetan. Noch nicht. Und er redete sie respektvoll
an. Zumindest, solange sie mitspielte. Ja, sie musste mitspielen. Das war
unumgänglich. Ansonsten würde es noch viel schlimmer werden. Dieser Mann schien
zu allem fähig, wenn er die nötige Veranlassung dazu
sah. Schon morgen würde er wiederkommen. Ihr graute davor. Aber auch vor einem
weiteren Tag in dieser Trostlosigkeit. In dieser stummen Einsamkeit.
    Sie
versuchte, sich wieder einzureden, stark zu sein. Nicht zusammenzuklappen.
Bestimmt beobachtete er sie gerade. Sie wollte ihm diesen Triumph nicht gönnen.
Also machte sie sich daran, den Raum zu putzen. Es bereitete ihr unendliche Überwindung. Aber sie musste das Spiel mitspielen. Sie hatte keine
andere Wahl. Machte das Bett, putzte das Mobiliar, räumte die Kästen auf,
scheuerte den Boden. Ganz Hausmütterchen. Ihr kam fast das Kotzen.
    Im Karton,
der am Tisch stand, befanden sich Toilettenpapier, neue Handtücher, frische
Unterwäsche, Bücher. Wie gehabt, fehlten die letzten Seiten. Aber das machte
nichts. Lesen war der beste Zeitvertreib. Wen interessierte da schon der
Schluss? Den konnte man sich genauso gut auch selbst ausmalen. Nie zuvor in
ihrem Leben hatte sie so viel gelesen. Nicht einmal, als sie noch zur Schule
ging, ihre Schönheit erst im Sprießen war und noch nicht ihren Charakter
vergiftet hatte.
    Als alles
verstaut war, hob sie einen Papierdeckel hoch, den sie ursprünglich für den
Kartonboden gehalten hatte. Darunter befanden sich zahlreiche Ausschnitte aus
Tageszeitungen und Zeitschriften. Aufgeregt legte sie die Artikel auf den Tisch
und blätterte sie durch. » Entführung an Heiligabend «, » Industriellentochter
verschwunden «, » Kein Lebenszeichen von Societygirl «,
» Clara Bergmann weiterhin vermisst «, » Polizei schließt
Gewaltverbrechen nicht mehr aus «, » Keine Lösegeldforderung in
Entführungsfall «, » Familie Bergmann wendet sich an Täter «. Insgesamt
etwa dreißig mehr oder weniger lange Berichte lagen vor. Sie begann zu

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