Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Titel: Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Amy Schlitz
Vom Netzwerk:
Kerzen in den Wandhaltern an. An den Wänden hingen Spiegel und schwarz lackierte Paneele, welche den Schein der Flammen reflektierten. Cassandra steckte die letzte Kerze zurück in die Halterung und ging zu einem Schrank, der gegenüber der Tür stand. Sie holte eine Kristallkugel von der Größe eines Kinderschädels heraus, platzierte sie auf dem Tisch und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Dann starrte sie in die Kugel.
    Zunächst war außer dem Spiel von Kerzenflammen und einem trüben weißen Fleck – der Spiegelung ihres Nachthemds – gar nichts zu erkennen. Cassandra gähnte. Für das Lesen der Kristallkugel hatte sie nie viel Talent besessen, und es dauerte keine fünf Minuten, da war ihre Konzentration schon verflogen. Ihre Lider wurden schwer. Doch plötzlich fuhr sie mit dem Kopf hoch und riss die Augen auf. Im Inneren der Kristallkugel bildete sich Nebel.
    Inmitten des Nebels lag eine Stadt, nicht Venedig mit seinen sanften Farben und silbrig schimmernden Kanälen, sondern London im bleigrauen Dunst. Jetzt tauchte Grisini auf, nicht der Prinz aus ihrem Traum, sondern der Mann, der er heute wohl war: ausgemergelt, verwahrlost und nicht mehr jung. Neben ihm standen drei kleine, schemenhafte Gestalten. Cassandra schnalzte frustriert mit der Zunge. Sie begriff nicht, was die Kinder da zu suchen hatten. Aber im Gegensatz zu ihrem Gehirn, das ihr im Traum durchaus einmal etwas vorgaukelte, log die Kristallkugel nicht. Falls sie die Zukunft voraussagte, würden die rätselhaften Kinder irgendeine Rolle in ihrem Leben spielen – ebenso wie Grisini. Immer wieder Grisini mit seiner Behauptung, über geheimes Wissen zu verfügen, mit seinem verteufelten Es sei denn .
    Cassandra schob den Stuhl zurück. Sie war zu erschöpft, um länger nachzugrübeln. Mühsam erhob sie sich – und zuckte zusammen. Die Spiegel ringsherum im Raum waren zum Leben erwacht. In jedem sah sie die geisterhafte Erscheinung einer brennenden Frau. Die Spiegel reflektierten das Bild wieder und wieder, wie Farbperlen in einem Kaleidoskop. Cassandra hob die Hände, um sich die Augen zuzuhalten. Die Frauen hoben ebenfalls die Hände. Überall bewegten sich lodernde Hände im Rhythmus ihrer eigenen. Sämtliche gequälten Gesichter waren ihr eigenes. Und während sie vor ihnen zurückwich, roch sie den Qualm.
    Cassandra stieß einen gellenden, wilden Schrei aus. Hastig griff sie nach dem Medaillon an ihrer Brust. Sie schloss die Augen und gebot der Vision – falls es eine Vision war – mit aller Willenskraft Einhalt. Sie sagte sich, dass das nicht wahr sein konnte. Es durfte nicht geschehen, niemals. Sie durfte nicht verbrennen.
    Auf einmal verspürte sie einen kühlen Lufthauch und öffnete die Augen. Die Gestalten in den Spiegeln verschwammen, und während sie sie betrachtete, wurden sie durchscheinend und lösten sich auf wie Rauchschwaden. Cassandra atmete aus. Es war ein Albtraum im Wachzustand, nichts weiter. Es blieb noch ausreichend Zeit, um sich vor dem Tod im Feuer zu retten.
    Ihr Griff um den Feueropal wurde fester. Der Stein pulsierte, als wäre er lebendig und erpicht darauf, ihr zu Diensten zu sein. Cassandra öffnete den Mund und sprach Grisinis Namen aus.

14. Kapitel

     
    Der 14. November im Juniper Bough
     
    I n einem Gin Palace namens Juniper Bough setzte Grisini taumelnd sein Glas ab. Ein rötlicher, glühender Dunst umfing ihn plötzlich. Seine Haut kribbelte und wurde heiß, als stünde er vor der Öffnung eines riesigen Ofens. Dann ließ das Gefühl wieder nach.
    Grisini griff nach dem Ginglas. Er hatte bislang gerade einmal die Menge getrunken, die auf einen Esslöffel passen würde, denn er wusste, dass er einen klaren Kopf behalten musste. Jetzt aber nahm er einen kräftigen Schluck, den Blick auf die Uhr am anderen Ende des Raums gerichtet. Sie war vor eineinhalb Stunden stehen geblieben. Und er wusste nur allzu gut, warum: Schließlich hatte er sich an dem Pendel zu schaffen gemacht. Sollte morgen die Polizei vorbeikommen und sich bei der Wirtin des Juniper Bough erkundigen, um welche Zeit er gekommen oder gegangen war, könnte sie die Frage nicht beantworten.
    Er griff in die Tasche und holte seine Uhr hervor. Es war beinahe neun Uhr abends und er wollte zusehen, wie sich die Figuren zur vollen Stunde bewegten. Grisini hegte die kindische Hoffnung, eines Tages würde ein Defekt des Mechanismus dazu führen, dass der Wolf tatsächlich seine Beute fing. Er malte sich aus, wie sein winziges Maul an den Federn

Weitere Kostenlose Bücher