Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)
schockiert. Fluchen war für sie nicht so verwerflich wie Stehlen oder wie das Blättern in Grisinis Bildern von nackten Frauen. »Hör mal, Foxy-Loxy, kannst du nicht deine Geige holen und für mich spielen?«
»Ich heiße nicht Foxy-Loxy«, zischte sie mit zusammengebissenen Zähnen. »Außerdem habe ich zu tun. Ich will Ruby waschen.«
Parsefall rümpfte die Nase. Am Vortag hatte Ruby die Ursache für den widerwärtigen Gestank in Mrs Pinchbecks Speisekammer gefunden: Hinter dem Ofen hatte der kleine Spaniel eine tote Ratte entdeckt und triumphierend hervorgezerrt. Bevor Ruby sie verschlungen hatte – und ihr davon furchtbar übel geworden war –, hatte sie ihren Fund gefeiert, indem sie sich immer wieder auf der Beute gerollt hatte. Seitdem stank Ruby so bestialisch, dass sie im Keller eingeschlossen wurde.
»Das wird sie hassen«, prophezeite Parsefall.
»Sie hasst es, allein im Keller zu sitzen«, hielt Lizzie Rose entgegen. »Das arme Ding hat den ganzen Tag gewinselt.«
»Ich versuch, zu proben« , sagte Parsefall mit gekränktem Tonfall. »Das is’ ja wohl wichtiger als ’nen dreckigen Hund zu waschen.«
Lizzie Rose rollte ihre Ärmel hoch. »Das würdest du nicht sagen, wenn Ruby in deinem Bett schlafen würde.«
Parsefall zuckte mit den Schultern und gab sich geschlagen. Er zupfte an dem Faden, der zum Bein der Tänzerin führte, und manövrierte sie behutsam in die Position einer Arabesque. Das Standbein hob vom Boden ab. Er seufzte und fing wieder von vorne an, während er mit kieksender Stimme die Melodie summte. Als Lizzie Rose den Hund schließlich im Wasser hatte, fing er endlich an, Fortschritte zu machen.
Unten fiel krachend die Tür ins Schloss. Parsefall ließ die Puppe fallen. In Mrs Pinchbecks Wohnung hob ein ohrenbetäubendes Gebell und Gekläffe an. Ruby sprang aus der Schüssel und flitzte durch das Zimmer, dass das Wasser nur so über den Teppich spritzte.
Parsefall schrie auf. Der Hund hatte es auf die Ballerina abgesehen. Hastig riss er sie an einem Bein hoch und vergaß völlig, was er bereits mit sechs Jahren gelernt hatte: Die fantoccini musste man stets an ihrem Spielkreuz halten. Schon hatten sich die Fäden verheddert. Parsefall schob die Puppe rasch unter einen Sessel, damit Grisini sie nicht sah.
Die Tür wurde aufgestoßen und der Puppenmeister rauschte herein.
Parsefall erkannte sofort, dass etwas nicht stimmte. Grisini strahlte eine angespannte Wachsamkeit aus, wie ein Raubtier kurz vor dem Sprung. Parsefall verharrte reglos und senkte den Blick auf den Teppich, um die Aufmerksamkeit nicht auf sich zu lenken. Er war darauf gefasst, blitzschnell den Kopf einzuziehen, sich wegzuducken oder zu fliehen.
Aber das war nicht nötig. Grisini ging zwischen den Kindern hindurch, als wären sie unsichtbar. Mit großen Schritten verschwand er in seinem Schlafzimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
Parsefall atmete wieder aus. Er legte warnend einen Finger vor den Mund, damit Lizzie Rose nichts sagte. Dann lauschte er auf die Geräusche aus dem Nebenzimmer. Rascheln und dumpfes Poltern war zu hören, ein kratzendes Geräusch, als würde eine Holzkiste über den Dielenboden schrammen, das blecherne Klappern der Griffe von Schubfächern. Er rätselte, was Grisini wohl suchte.
Lizzie Rose wischte sich die nassen Hände an ihrem Rock ab und fing Ruby wieder ein. Sie kniete sich hin und beförderte den zitternden Hund mit Nachdruck zurück in die Waschschüssel.
Parsefall lauschte immer noch mit schief gelegtem Kopf. Irgendeinem Instinkt folgend, ging er zum Fenster und lugte zwischen den rußverschmutzten Vorhängen nach draußen. Als er den Polizisten auf der gegenüberliegenden Straßenseite sah, nickte er. »Lizzie Rose, da draußen steht ’n Bulle. Er beobachtet das Haus«, sagte er mit gedämpfter Stimme.
Lizzie Rose hob den Kopf. Er sah Angst in ihren Augen aufflackern – Angst und einen Ausdruck wissenden Begreifens und Schuld. »Sag Grisini nichts«, wisperte sie.
Parsefall schüttelte ungeduldig den Kopf. »Er weiß es«, zischte er. »Das hast du doch gesehen. Deshalb –« Er unterbrach sich und starrte sie ungläubig an. »Der Teufel soll mich holen! Lizzie Rose, du bist doch nich’ wirklich zu den Bullen? Du hast denen doch nich’ wirklich erzählt, was Mrs Pinchbeck gesagt hat!«
Lizzie Rose deutete auf die Tür zu Grisinis Schlafzimmer. Der Knauf drehte sich, und als die Tür aufging, trat ein Fremder heraus.
Lizzie Rose stieß einen leisen
Weitere Kostenlose Bücher